Literaturmuseum Marbach: Wenn ein Dichter sich verzettelt
Erich Kästner liebte lose Blätter. Oskar Pastior sammelte Buchstabenkärtchen in Pralinenschachteln. Alfred Döblin zeichnete für einen Roman Pfeildiagramme zu Luftbewegungen über Grönland. Eine Ausstellung im Marbacher Literaturmuseum der Moderne zeigt, dass jeder Autor seine eigene Methode hatte, Ordnung ins kreative Chaos zu bringen.
Marbach am Neckar. Für die Schau "Ordnung. Eine unendliche Geschichte" haben die Kuratorinnen Helga Raulff und Heike Gfrereis das Marbacher Literaturarchiv durchforstet und aus 250 Jahren Literaturgeschichte Sehenswertes zu Tage gefördert. "Oskar Pastior hat seine Liebesbriefe zum Beispiel mit rosaroten Schleifchen zusammengebunden", erzählt Raulff.
Rostige Büroklammern, Karten, Ordner, Listen, Schachteln - bis 21. Oktober können Besucher in Marbach einen Blick in die mehr oder weniger ordentliche Gedankenwelt berühmter Autoren werfen. "Wir wollen zeigen, was nie in Büchern erscheint", sagt Museumsleiterin Gfrereis. Gedichte und Dramen fallen ja nicht vom Himmel. "Literatur bedeutet Arbeit", sagt Raulff. Erst sammeln, bündeln, sichten und sortieren die Schriftsteller. Alfred Döblin hortete chinesische Namen, weil er von ihrem Klang fasziniert war. Verwendet hat er dann nur einen Bruchteil davon. Der Direktor des Literaturarchivs, Ulrich Raulff, warnt allerdings davor, nicht zu viel "fröhlichen Trödel" zu erwarten.
Die Spuren der äußeren und inneren Ordnung von mehr als 30 Schriftstellern sind in Vitrinen fein säuberlich aufgereiht. Die in acht Abschnitte geteilte Ausstellung beginnt mit Friedrich Schiller. Für den "Superstar" zählte nur das fertige Werk: Er warf alle Aufzeichnungen und Entwürfe weg. Bei dem Drama "Die Malteser" verzettelte er sich allerdings: "Er ist vor lauter Ordnung nie fertig geworden", sagt Gfrereis. Der Rundgang endet mit Aufzeichnungen sechs moderner Autoren wie Martin Walser und Herta Müller, die ihre Gedichte aus Ikea-Katalogen zusammenschnipselte.
Das Fazit der Schau lautet: Kreativität und Ordnung schließen sich nicht aus, sondern beflügeln einander. Der Künstler ist auch Handwerker, der plant und puzzelt. Wie viel Ordnung ein Werk allerdings verträgt, muss jeder selbst wissen. "Dem Schreiber kann kein Fremder beim Entrümpeln und Entsorgen helfen", sagt Gfrereis.