Marées ins Licht gerückt
Wuppertal zeigt 120 Arbeiten des zu Unrecht fast vergessenen Künstlers Hans von Marées.
Wuppertal. Guten Freunden lässt man den Vortritt. Das gilt am Buffet genauso wie auf der Leinwand. Welche Tischmanieren Hans von Marées (1837-1887) an den Tag legte, ist zwar nicht überliefert. Eines aber ist in seiner Heimatstadt nicht zu übersehen: Auf der Leinwand weiß sich der gebürtige Elberfelder bestens zu positionieren.
Franz von Lenbach bekam das schon 1863 zu spüren: Das Kopf-an-Kopf-Bild, das ab Sonntag im Wuppertaler Von der Heydt-Museum zu sehen ist, zeigt zwei Künstlerfreunde, wie sie unterschiedlicher nicht getroffen sein könnten.
Denn Marées spielt mit den Mitteln der Höflichkeit: Selbstbewusst, wie er ist, stellt er sich selbst in den Hintergrund, macht sich dabei aber zum Erleuchteten. Während Lenbach mit Brille, dunklem Hut und ungepflegtem Bart in düsteren Farben untergeht, rückt sich Marées ins beste Licht - mit hellen Farben, feinen Gesichtszügen und elegantem Bärtchen.
So geht’s also auch: Man kann jemandem den Vortritt lassen - und ihn gleichzeitig in den Schatten stellen. Neben dieser malerischen Erkenntnis kommt in Wuppertal noch mehr ans Tageslicht. Ein Wagenrennen zum Beispiel, das der Maler und Bildhauer nach antikem Vorbild gestaltet hat. Kuratorin Nicole Hartje-Grave entdeckte die fast vergessene Kohlezeichnung im Museumsdepot.
Nun ist Marées’ fünf Meter lange Skizze ein unübersehbarer Höhepunkt: 70 Gemälde und 50 Zeichnungen werfen ein bezeichnendes Licht auf das Werk des Künstlers, der mit zeitlosen Bildern indie (Kunst-)Geschichte eingehen und ganze Räume gestalten wollte.
Das buchstäblich Größte kommt deshalb zum Schluss: Im letzten Raum findet sich die wieder entdeckte Zeichnung, die Marées kurz vor seinem Tod in Rom entworfen hatte - als Modell für ein großes Relief mit Pferdegespannen und nackten Kriegern. Mehr als 90 Jahre schlummerte sie im Depot - wenn man von einer kurzen Unterbrechung absieht, die sie schon einmal zum Blickfang einer Ausstellung in Barmen werden ließ.
Das allerdings ist auch schon wieder 20Jahre her. Dass sie nun wie Phoenix aus der Asche auftaucht, "ist eine Sensation", wie Museumsleiter Gerhard Finckh stolz betont. Unbescheidenheit passt ja auch zum ausgestellten Künstler, der "kein einfacher Zeitgenosse war", nun aber trotzdem oder gerade deshalb in seiner Heimatstadt gefeiert wird.
Dass er erst jetzt mit umfassend Schau gewürdigt wird, ist Marées durchaus selbst Schuld. Weil er auf meist düsteren Gemälden bestimmte Punkte zum Leuchten bringen wollte, bestehen seine Bilder aus bis zu 80 Farbschichten, sind deshalb äußerst fragil und dürfen kaum bewegt werden.
Umso bemerkenswerter ist die Zusammenstellung der Leihgaben aus renommierten Museen wie der Pinakothek in München, der Hamburger Kunsthalle oder der Nationalgalerie Berlin. Umrahmt von den Werken aus der Wuppertaler Sammlung ergeben sie ein facettenreiches Gesamtbild - zwischen Mythos und Moderne, Antike und Allegorie.
Marées hätte sicherlich seinen Gefallen an der Auswahl gehabt, denn etliche Selbstporträts, frühe wie späte, zeigen, wie er sich selbst gerne sah: Er präsentiert sich wie ein Gesamtkunstwerk, Großfürst und Grandseigneur - mit Würde, Stehkragen und Herrschergeste.
Der Kontrast ist deutlich: Seinen Vater stilisiert er wie einen Priester, zur selben Zeit zelebriert er mit poetischen Landschaftsidyllen ein heidnisches Arkadien - schöne Menschen sind im Einklang mit der Natur.
Marées, der den Stil des Neo-Idealismus prägte, hätte sich durchaus zum Impressionisten entwickeln können, wählte aber die andere Richtung. Römische Szenen erinnern an die Antike, und seine Zeichnungen lassen immer auch den Bildhauer erkennen, der raumbezogen arbeitete und das große Ganze wollte.
Die großen Ölskizzen für die 1873 ausgeführten Fresken der Zoologischen Station in Neapel beweisen es aufs Herrlichste: Marées hatte große Pläne und machte sich selbst alles andere als klein. Dabei war er "eigentlich ein armer Schlucker und auf Freunde und Gönner angewiesen", wie Finckh weiß. Mit Lenbach, den er auf seinem Doppelbildnis so gekonnt in den Schatten stellte, hat er sich später (wen wundert’s) zerstritten - dafür dürfte seine Kunst hier neue Freunde finden.