Ausstellung: Rothkos Farben explodieren
Hamburgs Kunsthalle breitet das Lebenswerk sein aus – ein ungeheuerliches Ereignis.
Hamburg. Wer gedacht hat, mit der Ausstellung von 115 Werken des russisch-amerikanischen Malers Mark Rothko in der Münchner Hypo-Kulturstiftung im Frühjahr sei alles gesagt gewesen, sieht sich getäuscht. Denn in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle ist das Werk Rothkos in einen erweiterten, kraftvollen Spannungsbogen gestellt.
Kurator Oliver Wick und Kunsthallenleiter Hubertus Gaßner konfrontieren Blick und Gefühl des Betrachters zusätzlich mit Gemälden von Pierre Bonnard (1867-1947) und Caspar-David Friedrich (1774-1840). Sie verweisen damit die Suche Rothkos nach den europäischen Wurzeln der Kunst.
Es ist ganz gewiss keine Übertreibung, wenn es heißt, es seien viele Exponate noch nie in Europa ausgestellt gewesen, und es werde auch so bald keine so hochrangige öffentliche Schau mehr zu sehen sein.
Gründe dafür sind nicht nur die Eigentumsverhältnisse - zahlreiche Leihgaben gehören Rothkos Kindern Kate Rothko Prizel und Christopher Rothko -, sondern die fieberhaft gestiegenen Kunsthandels-Preise für Mark Rothko, für den 2007 bei Sotheby’s die bisherige Höchstsumme von 72,8 Millionen Dollar gezahlt wurde, weshalb Privatsammler sie nicht mehr gern ausleihen.
Allein der Versicherungswert der Münchner Ausstellung soll bei rund einer Milliarde Euro gelegen haben, hier dürften sie noch höher liegen.
Die jüdischen Eltern Rothkos flohen mit den Kindern aus Russland nach Amerika, um grausamen zaristischen Juden-Pogromen zu entgehen. Diese Erinnerung, dazu der Holocaust der Deutschen und der europoäische Faschismus spiegeln sich schauerlich in Rothkos Werk - dank chronologischer Hängung ist dies schockierend und drastisch erkennbar. Surrealismus und Kubismus mögen kunsthistorisch gesehen Rothkos Stippvisiten in der europäischen Malerei gewesen sein.
Die Schau beginnt im Jahr 1935 mit Gemälden im figurativen Stil - wie man sie hierzulande noch nie gesehen hat. Sie zeigen Menschen in öffentlichen Räumen (U-Bahnhöfen, Plätzen), die einander nicht zur Kenntnis nehmen, bleich in die eigene Abwesenheit vertieft, Edward-Hopper-Typen. Abrupt finden diese Typologien ein Ende mit dem Datum 1939.
Der Beginn der Kriegs-Katastrophe Europas ließ ihn der antiken Katastrophe schlechthin einen Besuch abstatten, dem Untergang Trojas. Nun malt Rothko aufschreiende Bilder, eine "Kreuzigung" oder ein Gemälde, das einen zerfetzten Leib wie in Schaukästen zeigt, geschundene Gliedmaßen, zerschossen, zertrampelt. Der blinde Seher der Antike, Teiresias, glotzt mit hervorquellenden Augen.
Vielleicht muss man blind werden, um sich von der Fron der Gegenständlichkeit zu befreien. Rothko gelingt es sehend, ja immer hellsichtiger. Erst setzt er luftige Farbfelder zueinander in Bezug, mit Vorliebe kühne Kombinationen wie orange, rot, gelb. Spätestens ab den 60er Jahren aber wählt er dunklere Töne, dunkelgrün und -blau, violett, erdbraun, grau und schwarz.
Anfangs unwirklich, schweben sie leise pulsierend auf der Leinwand - Rothko experimentiert dafür lange, mit unterschiedlichen Lasuren. Dann wuchern nicht nur die Formate - sie können zwei bis drei Meter Höhe und Breite erreichen -, sondern auch die Spannungen. Form und Farbe interessierten ihn nicht, "Tragödien, Ekstase, Schicksal" seien sein Thema, hat Rothko gesagt. Fürwahr, diese Gemälde sind ekstatische Offenbarungen, die Schicksale der Schöpfung, die Tragödie des Heiligen, das in der Welt keine Heimat hat.
Sein eigenes dramatisches Schicksal steht noch bevor. In den letzten Lebensjahren erzählt die immer tiefere Dunkelheit in den Bildern von seiner eigenen inneren Schwärze. Rothko verzweifelt an der Angst vor Krankheit, Versagen, Alkoholismus. Ende 1969 verlässt er seine Familie und zieht in sein Atelier. Dort nimmt er in der Nacht zum 25. Februar eine Überdosis Amphetamine und schneidet sich die Pulsadern auf.
Die Tragödie seiner Bilder, denen er in einer Stiftung eine gesicherte Existenz bescheren wollte, und die beisammen bleiben sollten, nimmt ihren Lauf: Zehn Jahre muss Kate Rothko ihretwillen prozessieren und gewann. Die Verwalter hatten mit der Marlborough-Galerie ganze Ensembles weit unter Wert verkauft.