Van Goghs gezeichnete Bilder
Die Wiener Albertina beschenkt die Kunstfreunde mit einer einzigartigen Schau.
Wien. Zuerst war man skeptisch. Was gibt es denn in Bezug auf Vincent van Gogh (1853-1890) noch Neues zu entdecken? Schließlich hatte man die Jubiläums-Ausstellungen 1990 gesehen, fein säuberlich getrennt nach Genres, nach den Papierarbeiten in Otterlo und den Gemälden in Amsterdam. Mit eben dieser - nachgerade fatalen, wie man in Wien erkennt - Unterteilung macht die Albertina Schluss.
Herausgekommen ist dabei eine atemberaubende Schau mit 51 Gemälden und 79 Papierarbeiten aus 15 Ländern (16 Museen allein aus USA) und drei Kontinenten. Die konzeptuelle Arbeit teilten sich Klaus Albrecht Schröder (Alberina), Sjraar van Heugten, Leiter der van Gogh-Sammlung, und Hans Widauer wurde bei jedem Leihgeber vorstellig.
Die Ausbeute übertrifft alles bisher Gesehene und jagt einem Schauer den Rücken herunter. Sie lehrt einen Künstler kennen, der 27-jährig (zehn Jahre später war er tot) als autodidaktischer Zeichner begann - aber wie von Feuer angefacht. Die ersten Jahre sind noch geprägt von der dunklen Erde Nordbrabants - er lebte in Nuenen -, von kargen Landschaften, dürren Kopfweiden, wenig fruchtbaren Äckern.
Er zeichnet mit Bleistift und Rohrfeder Kartoffelstecher "schwarze Gemälde" (van Heugten) oder gekröpfte Birken; ein erschütterndes Bild heißt "Die Armen und das Geld" (1882). Da sieht man sie zerlumpt und ohne Antlitz vor einem Hauseingang sich aneinander drängen.
1886 bis 1888 dann Paris! Von einem Tag auf den anderen entdeckt er die leuchtendsten Farben, die Tupfer der Pointillisten, das federleichte Blattgewisper der Impressionisten. Doch schaut man genau hin, ist der Einfluss, den der Zeichner auf den Maler van Gogh hat, unübersehbar.
Er male mit dem Pinsel auf die Leinwand wie mit der Rohrfeder auf das Papier, sagt Schröder. Nun entstehen die ersten flammenden Gemälde, mit hingefetzten Strichen. In einem knallgelben Selbstporträt zeigt er sich 1887 als autoaggressiven, gefährlichen und misstrauischen Menschen.
Dann zieht es ihn in den Süden, unter die gleißende Sonne. Arles, Saint-Rémy und Auvers-sur Oise sind die Stationen. Er arbeitet jetzt immer schneller, immer bessener; aus den letzten 70 Tagen sind 70 Gemälde und über 60 Zeichnungen erhalten; sein relevantes Hauptwerk hat er ohnehin in nur vier Jahren geschaffen. Der Ohr-Verstümmelung folgt im Juli 1890 der Selbstmord.
Die Dynamik verschlungener Ornamente, der Einfluss des japanischen Künstlers Hokusai, Zeichnungen mit Bleistift, Aquarell, Gouache, Öl oder gehöhtem Weiß, mit intensivem Delfter Blau entstehen. Selbst die Landschaft wird bei ihm hart, eckig, kantig, gespreizt.
Ein wunderschönes, satt grünes Unterholz-Gelände mit Olivenhain ist hier alles andere als kuschelig oder lauschig. Jedes Holz, jedes Blatt ist ledrig, aufsässig, widerständig, widerborstig. Und da er gerne im Mistral malte, ist auch die Natur zerfetzt - was eben auch dem schroffen, schraffierten Duktus der Zeichnung entspricht.
Diese Ausstellung erlaubt nicht nur Entdeckungen, sie ermöglicht sie erst. Der Besucher darf sich auf erregende Einblicke, auf eine Auseinandersetzung mit einem Werk freuen, das sich permanent ineinander schlingt, verschränkt und keine Genregrenzen mehr kennt. Und mit der Persönlichkeit eines Künstlers, der für seine Werke verglühte. So sind die Bilder ebenso wie van Gogh selber "gezeichnet".