Kunst: Uralt begegnet brandneu
Im Park des Bochumer Haus Weitmar ist „Situation Kunst – für Max Imdahl“ erweitert worden, dokumentiert mit neuem Katalog.
Bochum. Es ist eine Welt voller Wunder, die wahr gewordene Sehnsucht nach der Einheit von Natur und Kunst. In diesem verwunschenen Park von Haus Weitmar findet man alles, was das Herz begehrt: grüne Wanderwege, uralte Bäume, eine märchenhaft wild umrankte Schlossruine. Und dann steht man plötzlich vor moderner Architektur.
Das eine Haus kennt man, es ist die sehr schöne, anspruchsvolle und immer wieder mit ihren Ausstellungen überraschende Galerie m, 1969 gegründet von Alexander von Berswordt-Wallrabe, der die Leitung im Jahr 2003 weitergegeben hat. Die anderen heißen "Situation Kunst - für Max Imdahl".
Der Widmungsträger (1925 bis 1988) war im Jahr 1965 Gründungsordinarius des Kunstgeschichtlichen Instituts Bochum und vertrat eine Auffassung, die das Hineingeheimnissen in die Kunst ablehnte. Er sei kein Freund des "Herbeizauberns einer eigentlichen Bedeutung" gewesen, heißt es im neuen Bestandskatalog. Vielmehr verstand er Kunst als "Situation". Und so wurde die Stiftung Situation Kunst mit prominenten Förderern gegründet (siehe Kasten).
Der Gast gelangt über eine duftende Wildblumenwiese und ein zu begehendes Kunstwerk des Koreaners Lee Ufan zum Eingang eines schneeweißen Gebäudes, dessen Erbauer Mies van der Rohe oder Oswald Mathias Ungers hätte sein können. Die Innenräume führen zusammen, was zusammen gehört: Kunst der Jahrtausende, Kontinente und der Moderne.
Beginnend mit einem Raum der Stille, mit Werken von Schoonhoven, Ad Reinhardt und Robert Ryman, folgen die Gemächer ostasiatischer und afrikanischer Kunst teils aus vorchristlichen Jahrtausenden. Sie mussten alle eine Provenienz-Prüfung bestehen - legal oder illegal, echt oder nicht? Darüber hinaus enthält die Stiftungssatzung die wohl einzigartige Selbstverpflichtung, jedes Stück zurückzugeben, sollte sich ein anderer Eigner melden.
Man taucht nun in die Welt Asiens, Chinas, Indiens, Japans und Kambodschas ein - manche Werke haben das unfassbare Alter von 8000 Jahren. Raffiniert ausgeleuchtet, wird ihnen eine sakrale Aura zuteil.
Von den Mönchen und Buddhas, Kriegern und Ehepaaren, Krügen, Schüsseln und Schalen - um danach in die Neuzeit entlassen zu werden, zu den Neon-Objekten von Dan Flavin und den Neon-Feuerzungen von Francois Morellet. Und zu Richard Serras Skulptur "TOT" für seine verstorbene Mutter.
Eigentlich sind Serra und Lee Ufan verwandte Seelen in der Stille und Tiefe. Genaueres erfährt man hierzu im herausragenden, schönen und enorm gelehrten Bestandskatalog zur Erweiterung.
Da schreibt etwa Karen van den Berg, das Haus sei ein "unbedingtes Museum". Lee Ufan plädiert für die "Kunst der Leere". Er nennt sie "die Kunst des unausgefüllten Raumes", in dem man Poesie, Kritik oder Transzendenz erfahren könne, wenn das Eine auf das Andere wirke.
Silke von Berswordt-Wallrabe, die 2006 mit ihrer im Steidl-Verlag erschienenen Arbeit über Lee Ufan promoviert wurde ("Konfrontation und Koexistenz - Begegnung mit dem Anderen"), widmet ihm eine Analyse. Ufan erinnert an den amerikanischen Komponisten John Cage. Für beide ist das Wesentliche das, was scheinbar fehlt, das nicht Gezeigte, das streng erarbeitet werden muss, bis es das uns Bezwingende wird: das unbedingte Werk, das durch Stille sehen lehrt.