Wie Natur die Kunst beflügelt
Tony Craggs Großprojekt im Park am Rande von Wuppertal wird heute eröffnet.
Wuppertal. Tony Cragg, Weltstar der Bildhauerei, Träger des Praemium Imperiale und damit des "Nobelpreises" der Künste, ist ein Organisationstalent. 60 Mitarbeiter, Architekten, Landschaftsgärtner, Elektriker dirigierte er zwei Jahre lang am Rande von Wuppertal in einem natur- und denkmalgeschützten Landschaftspark. Gestern lag erstmals ein leichtes Glücksgefühl auf seinem Gesicht: Am Samstag um 10 Uhr eröffnet er seinen privaten Skulpturenpark Waldfrieden. Eine kühne Idee wird Wirklichkeit.
15 Hektar groß ist der einst verwilderte Park des 1989 verstorbenen Lackfabrikanten Kurt Herberts mit dem denkmalgeschützten "Haus Waldfrieden" im Mittelpunkt. Cragg ließ die anthroposophische Villa aufwendig sanieren, den Marmor auffrischen, die gewölbten Wände spachteln, die Bambustapete auf den Einbauschränken restaurieren.
Das Gesamtprojekt ist jedoch mehr als eine spektakuläre Wiederbelebung historischer Bausubstanz, es ist ein Dialog zwischen Gebautem und Gewachsenem. Rund um diese Villa bettet Cragg die verschiedensten Objekte in wunderbaren Materialien in die Natur, von wo sie ungeahnte Kräfte empfangen.
Normalerweise stehen Craggs Skulpturen im Asphalt der Städte, hier aber führen 19Bronzen, Stahl- und Metall-Werke ein fast schon selbstverständliches Gespräch mit den Bäumen, den Tieren und ab heute mit den Menschen. Eine tänzelnde Cortenstahl-Arbeit und eine kompakte Figur namens "Bulbs" begrüßen die Gäste auf dem Weg zum Eingang.
Cragg hat seine "Wilde Verwandte", "Tanzende Sandsteinsäule" oder sonstige Schätze an Weggabelungen, auf Wiesen, in Waldlichtungen gestellt. Die metallische "Photon", die ihren Namen nach einer Lichteinheit hat, wirkt wie eine elektromagnetisch aufgeladene Rakete, die das Sonnenlicht empfängt und ihren Körper in eine Licht-Erscheinung verwandelt.
Was diesen Park so einmalig macht, ist der Bewegungsreichtum der Kunst in den Tälern und Abhängen des Bergischen Landes. Bevor ein Weg wieder aufsteigt, begegnet der Wanderer oder Kunstgänger zwei Sandstein-Skulpturen, "Here today, gone tomorrow".
Cragg sagt dazu: "Ich stelle mir vor, dass Steinbilder von Dauer sind. Die Arbeit hat auch etwas mit meiner Kunst-Auffassung zu tun, dass alles im Fluss ist." Es sei die aufwendigste Arbeit, an der exponiertesten Stelle. Er vergleicht ihre Bewegung mit der einer "Schleuder".
Für Cragg ist eine Form kein statisches Ding, sondern ein lebendiger Organismus. Eine grünliche Basaltarbeit aus drei Ellipsen wirkt wie ein Kleeblatt. Beim Nähertreten meint man, ein magisches Gesicht zu sehen. Geht man um das Werk herum, treten Nase und Mund hervor.
Das allmähliche Entwickeln der Form aus der Materie könnte kaum sinnfälliger geschaffen sein. "Mein Ziel ist es, visuelle Inhalte begreifbar zu machen," sagt er. Eine Schule des Sehens für die Skulptur der Gegenwart ist in der frischen Natur entstanden.
Ein hoher, lichter Ausstellungspavillon, den der Wuppertaler Architekt Rudolf Hoppe nach Craggs Ideen gebaut hat, birgt ein kleines Museum. In den Abmessungen des Goldenen Schnitts enthält er herrliche Ein- und Ausblicke. Hier macht Tony Cragg sein Versprechen wahr, die Großen der Bildhauerkunst zu präsentieren.
Den Auftakt macht Mario Merz mit einer gläsernen Doppelspirale, einem steinernen Iglu und einem wundersamen Kubus ("Fibonacci-Haus"), in dem sich Architektur, Malerei und natürliches Astwerk vereinen. Vor der Tür zur Ausstellungshalle liegt eine der herrlichsten Bronzeskulpturen von Eduardo Chillida, als Vorgeschmack auf die Chillida-Schau an diesem Ort im nächsten Jahr.