Tony Cragg wird im Iran gefeiert

Der Bildhauer Tony Cragg aus Wuppertal bespielt zwei große Ausstellungen in Teheran und Isfahan. Ein Besuch im Atelier des Künstlers.

Foto: Mahnaz Sahaf

Wuppertal. Tony Cragg präsentiert in Teheran und nun in Isfahan eine Werkschau mit 57 Skulpturen, 153 Papierarbeiten und 18 Fotos. Es ist eine triumphale Schau. Künstler, Professoren, Museumsleute, Studenten und selbst Frauen liegen ihm zu Füßen. Till Breckner und sein iranischer Partner Afshin Derambakhsh haben das Projekt organisiert. Kurz vor seiner Abreise nach Isfahan trafen wir den Künstler in seinem Atelier.

Herr Cragg, der Galerist Till Breckner sagte mir, dass in Teheran das Publikum so fasziniert von Ihren Skulpturen war, dass es alles berühren wollte. Sie ließen das zu?

Tony Cragg: Ich hatte keine andere Wahl. Es kamen Tausende von Menschen, darunter viele junge Leute, auch Frauen, zur Vernissage. Da war kein Stehraum mehr im ganzen Gebäude. Es war ein euphorischer Enthusiasmus, was nicht nur mich, sondern auch die Mitarbeiter des Museums und des Ministeriums überrascht hat. Man konnte die Arbeiten zwar nicht sehen, aber die Atmosphäre war sehr gut.

Ist das Verlangen, ein Kunstwerk zu berühren, verständlich?

Cragg: Natürlich, das haptische Erlebnis vervielfacht den Eindruck.

Sie wurden im Iran als britischer Künstler geführt. Haben Sie auch einen deutschen Pass?

Cragg: Nein, ich habe einen britischen Pass, aber gesprochen hat der deutsche Botschafter.

Kommt die Begeisterung, weil so wenig Skulpturen in Museen gezeigt werden? Die Kunstakademie Düsseldorf schrieb die Stelle eines Bildhauers aus. Es soll sich aber kein guter Bildhauer gemeldet haben, so dass ein Maler berufen wurde, der auch dreidimensional arbeitet. Heißt das, dass kein Künstler mehr handwerklich arbeiten will?

Cragg: Das kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt überall auf der Welt supergute neue Bildhauer. Aber ich kann das gesunde Misstrauen gegenüber den Berufungsprozessen verstehen, weil es zu viel Manipulation und zu viel Vetternwirtschaft gegeben hat. Auch die Begehrlichkeit von Galerien ist groß. Andererseits ist das Interesse an der Kunst überhaupt, auch in der Bildhauerei, so gestiegen, dass viele Künstler lieber in ihrem Atelier bleiben, als sich mit Kollegen zu beschäftigen. Die Studenten sind daran nicht Schuld. Sie sind kreativ.

Die Museen scheuen Ausstellungen mit Skulpturen. Liegt das am Gewicht der Arbeiten?

Cragg: Die Bildhauerei ist eine irrsinnig spannende Disziplin. Es hat in den letzten Jahren interessantere Sachen als je zuvor gegeben. Aber die Kuratoren gehen ihren Weg und die Künstler auch.

Welche Bedeutung hat der Computer? Auch Ihre Werkstatt kommt heute nicht mehr ohne Internet, Scanner und 3D-Systeme aus. Wie ist die Liaison zwischen dem Handwerk und dem 3D-Verfahren?

Cragg: Im 19. Jahrhundert wurde leider die Bildhauerei in Europa meistens für ihre Handwerklichkeit geschätzt. Aber das ist ein stures Vorurteil, das man loswerden muss. Ein Künstler wie Rodin hat seine Arbeiten machen lassen, aber die Idee kam von ihm. Auch das Ready-made hat mit Handwerklichkeit nichts zu tun. Donald Judd hat niemals ein Material angefasst, sondern Skizzen und Zeichnungen weggeschickt und alles herstellen lassen. In den letzten zehn Jahren gibt es Möglichkeit, Dinge zu vergrößern, kompliziertere Formen zu erarbeiten, die früher sehr schwierig gewesen wären.

Worauf kommt es bei der Herstellung an?

Cragg: Wichtig ist, dass man zu einer interessanten Aussage in der Arbeit kommt. Ich persönlich kann den Computer nicht bedienen, also lasse ich auch meine Arbeit nicht im Computer generieren. Es ist aber ein nützliches Werkzeug in der Herstellung.

Ein Beispiel?

Cragg: Die Technik ermöglicht es, dass man einfacher vergrößern kann. Und man kann mit der modernen Technik ein Volumen in das andere setzen, was wahnsinnig schwierig ist. Das sind zwei Arten, wie man die neue Technik als Werkzeug benutzen kann. Aber die Frage ist doch, ist das überhaupt künstlerisch interessant?

In den 60er Jahren drehte sich die Diskussion um figurativ oder abstrakt. Gilt das heute noch?

Cragg: Das sind falsche Kategorien. Jede Figur sieht organisch aus. Aber ohne Geometrie, Moleküle, Zellen, Organformen und Knochengerüst würde sie nicht funktionieren. Das Abstrakte ist immer ein Teil des Figurativen.

Sie werden eine Skulptur aus iranischem Marmor für den Skulpturenpark in Teheran spenden. Eine tolle Geste. Aber warum?

Cragg: Wir alle wissen aus den letzten Jahrzehnten, dass die politischen und diplomatischen Verhältnisse zwischen Iran und anderen Ländern voller Spannung sind. Aber ich kenne sehr viele Iraner, die als Studenten, als Freunde, als Menschen in unserer Gesellschaft sind. Sie scheinen mir immer sehr nette und vernünftige Leute zu sein. Mein Zahnarzt ist Iraner, der Mann meiner Assistentin ist Iraner. Mir passt das Feindschaftsbild nicht. Ich fand ein gastfreundliches Volk, so höflich und bescheiden. Ich wünschte, das wäre überall in der Welt zu finden. Ich habe anregende Gespräche über Kultur, Politik und vieles andere geführt. Und auch, wenn ich nicht mit allem einverstanden wäre, so verstehe ich ihren Gesichtspunkt.

Sind Sie herumgefahren?

Cragg: Ja. Es ist ein wunderschönes Land. Mit einer Jahrtausende alten Kulturgeschichte. In den ersten Tagen zeigten sie mir die erste Bronzeskulptur, die ersten Glasskulpturen, die großartigen Steinwerke. Es ist ein Land, das wirklich begeistert. Ich habe große Sympathie für die Menschen dort. Wenn ich von Amerika aus in den Iran einreise, ist es immer noch Feindesland. Die Politik ist natürlich eine andere Geschichte.