Zehn Jahre Jüdisches Museum Berlin
Berlin (dpa) - Der leere Neubau lockte tausende Besucher, nach der Eröffnung des Jüdischen Museums Berlin kamen die Massen. Wie die Nofretete-Büste und der Checkpoint Charlie steht das Zickzackhaus des Architekten Daniel Libeskind seit zehn Jahren bei Berlin-Besuchern ganz oben auf der Liste.
Mehr als sieben Millionen Menschen haben bisher das Museum in Kreuzberg besucht. Im steten Strom wandeln die Menschen von einem Modell der mittelalterlichen Synagoge in Worms bis zu Zeugnissen des Holocaust.
Wenn an diesem Montag nach einem Konzert mit Daniel Barenboim das Museum Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit seinem Toleranzpreis auszeichnet und seinen Geburtstag feiert, wird die lange Debatte um die Gründung des Hauses wohl nur am Rande vorkommen. Dabei war ein neues jüdisches Museum in Berlin keine Selbstverständlichkeit. Welchen Platz haben die Juden nach der Shoa in Deutschland - um diese Frage kreiste eine langwierige Kulturdebatte.
Mit dem deutsch-amerikanischen Manager W. Michael Blumenthal, der unter Präsident Jimmy Carter US-Finanzminister war, kam dann ein Gründungsdirektor, dessen Biografie von Flucht, Exil und Rückkehr geprägt ist. Blumenthal brachte viel Beharrlichkeit und die Erfahrung eines US-Politikers im Umgang mit Sponsoren mit.
Eines sollte das neue Haus auf keinen Fall werden: Ein Holocaust-Museum. „Zwei Jahrtausende Deutsch-Jüdische Geschichte“ - mit diesem Untertitel im Museumsnamen wurde schließlich der Bogen zwischen dem Glanz und dem Elend des deutsch-jüdischen Verhältnisses geschlossen.
Ob der Torah-Vorhang des Philosophen Moses Mendelssohn, eine Lewis-Jeans oder eine jüdische Familie als Spielset aus Plastik - die ständige Ausstellung öffnet den Blick auf die Vielfalt des jüdischen Lebens zwischen Kultur, Religion und Alltag. Über drei Etagen windet sich der Libeskind-Bau als geborstener Davidstern um Treppenhäuser und geschlossene Innenhöfe, dicht an dicht stehen Vitrinen mit Dokumenten und Objekten, Videomonitoren und Hörstationen.
Als „deutsches Geschichtsmuseum“ beschreibt Blumenthal das Haus. Die Spur der Juden in Deutschland reiche bis in die Römerzeit zurück. Der Holocaust dürfe dabei nicht vergessen werden, er sei aber nur ein schrecklich tragischer und trauriger Teil davon. So vermittelt im Keller der kalte Holocaust-Turm etwas von der Beklemmung der Verfolgten, im Garten des Exils soll ein Steinlabyrinth auf dem schrägen Boden das Gefühl von Heimatlosigkeit verdeutlichen.
Ein Teil des jüdischen Lebens in Deutschland, vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu Hitlers Antritt 1933, kann auch als Erfolgsgeschichte verstanden werden. Aus dieser Geschichte lerne man auch, dass Toleranz gegenüber Minderheiten für beide Teile nützlich sein könne, sagt Blumenthal.
Aus dieser Erfahrung heraus will das Museum seine Arbeit ausbauen und sich stärker in die Integrationsdebatte einmischen. Die Erfahrung der deutschen Juden im 19. Jahrhundert könne angesichts des Drucks zur Säkularisierung vor allem für den europäischen Islam von Interesse sein, sagt Programmdirektorin Cilly Kugelmann.
Dafür baut das Museum für 11 Millionen Euro nach Plänen von Libeskind den einstigen Berliner Blumenmarkt zu einer Akademie um, die Mitte 2012 eröffnet werden soll. Museumspädagogen werden mit Schulklassen über Fragen zum Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Glauben sprechen, Wissenschaftler sollen zu Forschungsprojekten eingeladen werden.
Auch die Gegenwart des jüdischen Lebens soll in der ständigen Ausstellung stärker berücksichtigt werden. Alle nach 1945 in Deutschland lebenden Juden hätten Erfahrungen mit der Emigration - als Rückkehrer aus dem Exil, Holocaust-Überlebende oder Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Bei einem Kongress über „Visionen der Zugehörigkeit“ wollen Schriftsteller am 29. Oktober der Frage nachgehen: „Was ist deutsch im 21. Jahrhundert?“