Kunstpalast Düsseldorf Fotografie: Größe entscheidet über alles

DÜSSELDORF · „Size matters": Ausstellung im Kunstpalast ist umfangreich und vielseitig

 Evan Roth, Since you were born, 2019–ongoing, Digitaldruck auf Wandtapete.

Evan Roth, Since you were born, 2019–ongoing, Digitaldruck auf Wandtapete.

Foto: Doug Eng, Courtesy MOCA Jacksonville

Den Größenregler kennt jeder. Mit ihm kann man sich die Wirklichkeit nah ran holen. Daumen und Zeigefinger reichen auf dem Smartphone-Display, um Schnappschüsse  größer oder kleiner zu zoomen. Andererseits: Was man mit der Kamera verkleinert, Kann auf dem Papierabzug später lebensgroß erscheinen, manchmal sogar überlebensgroß. Oder extrem verkleinert. Die Größe zählt in der Fotografie – „Size matters – Größe in der Fotografie“ – das behauptet eine außergewöhnlich vielseitige Ausstellung mit und über Fotografie im Düsseldorf Kunstpalast. Und liefert erstaunliche Beweise für diese These aus manchen Bereichen.

Ausstellungen über das Bildmedium des 20. Und 21. Jahrhunderts sind ein Muss für Museumsmacher in der Stadt, die demnächst das deutsche Fotoinstitut (Bundesinstitut für Fotografie) beherbergen wird. Und in deren Kunstakademie mehrer Generationen von Starfotografen eine Professur innehaben oder hatten. Bert und Hilla Becher, Katharina Sieverding, Andreas Gursky oder Thomas Ruff. Klar, dass Letztere ebenfalls in der Schau vertreten sind.

In zehn  Sälen (oder „Kapiteln“) breitet Kuratorin Linda Conze 160 Bilder aus – allein 90 aus museumseigener Sammlung – und demonstriert, wie Fotografie die Dinge, die sie abbildet, meist verkleinert. Auf das Format von Handyscreens oder handtellergroße Abzüge zusammenschrumpfen lässt. „Sie bastelt am Maßstab der Welt herum“, wie in den 1970ern die US-amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag formulierte. „Maßstab der Welt“ ist daher der Titel des ersten ‚Kapitels‘. So begrüßt den Besucher am Eingang ein überdimensional großer Granny-Smith-Apfel: er liegt angebissen vor einem massiven Baum. Titel: „Dinge im  Hintergrund“. Mit dem Motiv (auch Ausstellungsplakat) relativiert die Künstlerin Kathrin Sonntag (wie in surrealer Malerei) die Größe des Objekts. Nach dem Motto nicht alles, was groß ist, ist von hervorgehobener Bedeutung.

Wenn auch die Abbildung 1:1 (eins zu eins) ein ‚Sonderfall‘ der Lichtbildkunst ist, so widmen sich der authentischen Lebensgröße einige Exponate.  Da hockt ein menschliches Wesen auf dem Boden und verschränkt die Arme um die Beine. Lediglich schattenhafte Umrisse erkennt man auf dem Silbergelatine-Druck von Floris Neusüss. Oder auf einem Schwarz-Weiß-Bild mit einem Blatt.  Lebensgroß auch Röntgenbilder von Knie und Oberschenkel-Knochen. Haushoch indes die Ablichtung einer Tür in irisierenden Rot-Rosa-Violett-Schattierungen.

Erik Kessels projiziert
in Digitaldruck auf Teppich

Dann glaubt man, eine Kompanie von chinesischen Soldaten in grün-roten Uniformen marschiere auf den Betrachter zu. Wie ein Plakat wirkt das Paradebild, das Katharina Sieverding einst als überlebensgroße Fotografie herausgab. Unter dem leicht ironischen Titel „We have friends all over the world“.

Größer als in Wirklichkeit sind auch die zahlreichen Frauen-Porträtfotos, die Erik Kessels in Digitaldruck auf Teppich projiziert hat. Gesammelt auf Flohmärkten hat er zig anonyme Fotoalben mit einem unbegrenzten Archiv von Familien-Bildergeschichten. Erstaunlich: Der niederländische Installationskünstler bläst die privaten Porträtbilder zu extremen Größen auf. Und macht anschaulich, dass Bilder nur in Kleinformat die Privatheit bewahren, ansonsten mutieren sie zu plakativen Studien. Dagegen erhebt Thomas Ruff durch massive Vergrößerung seine farbigen Porträts zu Kunstwerken.

Vergrößerungen können auch der Wissenschaft dienen. So bei Luftaufnahmen von Soldatenfriedhöfen, Wirbelsäulen oder Meteoriten. Mit „Kurzsichtigkeit“ indes spielt Rosa Menkman auf digital vergrößerten Fototapeten. Hinter dem Wald von Digital-Symbolen in Klein- und Großformat lässt sich das Porträt einer Frau erahnen. Je weiter man sich von der Wand entfernt, desto klarer erkennt man die Gesichtszüge.

Schwindelig wird man beim Betreten des letzten Saals, den Evan Roth förmlich zugekleistert hat mit zigtausenden von Bildern. Auf Tapetenrollen projiziert. Und raumhoch auf Wände und Boden geklebt.  Überwiegend in Passbild-Größe: Freunde, Frauen, seine Familie, seine Umgebung, Werbung. Alles, was sich so im Cache seines Internet-Browsers in vielen Jahren gesammelt hat. Damit gibt der US-amerikanische Künstler einen Blick in sein Leben im „world.wide.web“. Ende offen, denn Roth wird sein Projekt fortsetzen.