„Luther und die Avantgarde“ Martin Luther als erfolgreicher Rebell in der Avantgarde

Zeitgenössische Künstler halten der Kirche und den Machthabern den Spiegel vor und präsentieren hohnvolle Kunst.

Foto: Stefan Hostettler (c) VG Bild-Kunst

Wittenberg. In der „Lutherstadt“ in Sachsen-Anhalt tummeln sich die Touristen. Es geht um Kräutergärten, alternative Medizin-Strategien und den perfekt sanierten Reformationsaltar von Lucas Cranach mit Junker Jörg beim letzten Abendmahl. Aber es gibt auch einen Gruß aus Bonn. Die dort beheimatete Stiftung für Kunst und Kultur unter Walter Smerling befragte 65 Künstler zu ihrem Verhältnis zu Luther. Entstanden ist eine frisch-freche Avantgarde-Schau, in der Luther nicht weichgespült wird. Von Ai Weiwei bis Uecker, Kabakov bis Lüpertz sehen sie in Luther den Kritiker und Aufklärer, den Provokateur gegen das kirchliche Establishment.

Die Ausstellung findet im alten Gefängnis in Wittenberg statt, wo jeder Künstler seine eigene Zelle erhält und über Audioguide auch selbst zu Wort kommt. Den redegewandten Markus Lüpertz interessiert am Reformator das „Erfolgsmodell eines Rebellen“. Alle Mitstreiter Luthers landeten auf dem Scheiterhaufen, nur er sei davongekommen. Lüpertz: „Mich fasziniert, dass man die Welt verändern kann, ohne dabei draufzugehen. Luther ist für mich in seiner ganzen Angreifbarkeit ein Heros“, sagt er. Dennoch taugt das Zitat nicht zur PR-Arbeit, denn Lüpertz ist konvertiert.

Tal R, bis vor kurzem Professor in Düsseldorf, gibt zu, dass er wenig über den Mann weiß und pinselt seine Bilder so schwarz wie die protestantischen Talare. Wie Fenster-Rollos wirken die Bilder, mit Zipfeln, um vielleicht doch noch das Tageslicht einzulassen.

Paloma Varga Weisz zeigt die mutigste Arbeit. In ihrer Zelle liegt eine lebensgroße, männliche Marionette aus Lindenholz, das Gesicht seitlich auf dem Boden, die Hände wie hilflos neben dem Kopf. Es handelt sich um eine überdimensionierte Gliederpuppe, deren Hinterteil mit einem Draht am Galgen unter der Decke befestigt ist, um über einen kleinen Motor einfache, monotone Bewegungen auszuführen. Der Betrachter weiß nicht genau, ob die Figur auf eine devote, anbetende Handlung zukünftiger Priester bei ihrer Weihe verweist oder auf eine männliche Sexmaschine. Die Künstlerin hat zugleich kleine Höhlen in die Wände geschlagen und Seifenstücke eingeschoben, für die praktische Reinigung.

Bissig wirkt auch Jürgen Klaukes Beitrag. Seine „berühmte Werksserie „Grüße vom Vatikan“ wirft der katholischen Kirche so gut wie alles vor die Füße, was mit päpstlicher Autorität, Bigotterie, Frauenfeindlichkeit und Scheinheiligkeit zu tun hat. Klauke schlüpft selbst in seiner Fotoserie in die Rolle des Transvestiten, um gegen die traditionelle Geschlechterrolle anzutreten.

Rührend bis komisch wirkt der nackte, hölzerne Mann von Stephan Balkenhol, der aus einem Baumstamm geschlagen ist und zugleich mit ihm verwachsen ist. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, scheint der hölzerne Wicht zu tönen.

Olaf Metzel fasst den gegenwärtigen Luther-Kult in einer simplen Geste zusammen. Er zeigt in verschiedenen zerknüllten Bildern und Berichten die gnadenlose Trivialisierung unseres Luther-Bildes.

In diesem Jahr, wo jeder vom Papst bis zum Playmobil den 500. Jahrestag der 95 Thesen begeht, sollte diese Ausstellung den Katholiken wie Protestanten zu denken geben.