Katholische Kirche „Es liegt nicht nur am Zölibat“

Düsseldorf · Peter Josef Dickers hat 1977 zwölf Jahre nach seiner Priesterweihe geheiratet. Aber im Verzicht an sich sieht er nicht die Hauptursache für den Missbrauchsskandal.

„Es muss im Leben mehr als alles geben“: Peter Josef Dickers hält Verzicht für ein lebenswertes Gut.

Foto: Ekkehard Rüger

Als am 27. September die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zu Ende ging, gab es eine gemeinsame Erklärung der Bischöfe zur zuvor diskutierten Missbrauchsstudie. Darin heißt es: „Die für die katholische Kirche spezifischen Herausforderungen wie die Fragen nach der zölibatären Lebensform der Priester und nach verschiedenen Aspekten der katholischen Sexualmoral werden wir unter Beteiligung von Fachleuten verschiedener Disziplinen in einem transparenten Gesprächsprozess erörtern.“ Wenige Tage später formulierte es der Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx in Rom weniger verschwurbelt: „Worte der Betroffenheit reichen nicht aus; wir müssen handeln.“ Die Kirche müsse sich in einer ehrlichen Diskussion vielen Fragen stellen. Dazu gehörten „Machtmissbrauch und Klerikalismus, Sexualität und Sexualmoral, Zölibat und Ausbildung der Priester.“

Vor mehr als 40 Jahren
Abschied vom Zölibat

Man könnte erwarten, dass Peter Josef Dickers gerade beim Thema Zölibat besonders bestätigt sieht. Stattdessen sagt der 80-Jährige: „Ich bin nicht der Meinung, dass es nur am Zölibat liegt.“ Er selbst hat sich zwar vor mehr als 40 Jahren von der zölibatären Lebensweise des geweihten Priesters verabschiedet. Trotzdem ist er überzeugt: „Der Verzicht um einer Sache willen, nicht als Selbstkasteiung, sondern weil ich mich innerlich frei fühle, ist ein lebenswertes Gut.“ Und dann zitiert er den Satz des Kinderbuchautors Maurice Sendak: „Es muss im Leben mehr als alles geben.“

Dickers hat sich dennoch zwölf Jahre nach seiner Priesterweihe im Jahr 1965 anders entschieden – der Liebe wegen. 1977 wurde er auf eigenen Antrag und nach anfänglicher Ablehnung aus Rom dann doch in den Laienstand rückversetzt und heiratete noch im selben Jahr. Der damalige Kölner Kardinal Joseph Höffner hatte den Seelsorger und Lehrer für Religion und Pädagogik zwar bei seinem Antrag unterstützt. Doch die Missio canonica wurde ihm im Anschluss dann doch bistumsweit entzogen. Der gebürtige Kaarster wich nach Stationen in Leverkusen-Schlebusch und im Kreis Neuss daher ins Nachbarbistum Aachen aus. An der Berufsschule in Kempen fand er bis zur krankheitsbedingten frühzeitigen Pensionierung im Jahr 1997 eine neue Beschäftigung.

Wer sich mit Dickers heute über die katholische Kirche, ihre Erneuerungsbereitschaft und die Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal unterhält, der spürt viel Skepsis: „Bei manchen hat man den Eindruck, dass sie jetzt noch auf einen schon fahrenden Zug aufspringen wollen, obwohl der an keinem Bahnhof mehr hält.“ Er sei sich nicht sicher, dass sich schnell etwas ändern werde. „Die Kirche denkt in Jahrtausenden. Aber so viel Zeit hat sie nicht mehr.“

Dickers sagt, auch er sei nach seiner Priesterweihe von der 68er-Welle erfasst worden. Und er erinnert sich noch gut daran, wie der innerkirchliche Streit um die päpstliche Enzyklika „Humanae vitae“ (“Pillen-Enzyklika“) beim Katholikentag 1968 in Essen eskalierte. Papst Paul VI. hatte damals katholischen Christen die Verwendung von Verhütungsmitteln verboten. Für den Theologen Dickers zeigt sich darin ein Grundproblem: „Die amtliche Kirche hat nicht nachvollzogen, dass die Normen, die mal gegolten haben, jetzt nicht ungültig sein müssen, dass aber die Lebenswirklichkeit bunter geworden ist. Und was nach links oder rechts abbiegt, sind keine Irrwege, sondern andere Wege.“

Daher geht es für ihn auch in der Missbrauchsfrage weniger um den Zölibat, „sondern darum, mit Sexualität anders umzugehen, als uns das in unserer Ausbildung aufoktroyiert wurde“. Seine These: Wenn Priester an der kirchlichen Norm scheitern, auf die Ehe und jede Form der sexuellen Betätigung zu verzichten, könne aus dieser Überforderungserfahrung mitunter der Fehlschluss folgen, dass plötzlich gar keine Normen mehr gelten. „Die Leute glauben dann: Ich mache mich gar nicht schuldig. Sie erschaffen sich ihren eigenen Normenhimmel.“

Ohne Absicht in
die Isolationshaft

In seinem zwei Jahre alten autobiografischen Buch „Die Pendeluhr“ schreibt Dickers zum amtskirchlichen Zölibatsverständnis eines völligen Verzichts auf jegliche sexuelle Betätigung: „Wäre uns glaubhaft dargelegt worden, dass es nicht um das Verbot von Leiblichkeit und Sexualität ging, sondern um einen bestimmten Umgang mit ihr, hätten wir befreiter unsere sexuelle Orientierung finden können. So aber ergibt sich die Frage, ob die uns vermittelte Begründung von Ehelosigkeit nicht kontraproduktiv war und uns, wenn auch ohne Absicht, in Isolationshaft führte.“

Als Dickers später nach seiner Laisierung noch einmal in einem Brief an den Kölner Kardinal Joachim Meisner seine seelsorgliche Mitarbeit anbot, erhielt er als Antwort ein Schreiben des Generalvikars mit Hinweisen, was ihm alles verboten sei. „Das vermisse ich an unserer Kirche“, sagt er mit Blick auf seine Frau. „Wir beide sind auf dem Boden dieser unserer Kirche geblieben. Aber wir können nicht alles nachvollziehen, was sie glaubt, an Verbindlichkeit durchsetzen zu müssen.“