Nachruf auf Musik- und Theaterkritiker Joachim Kaiser Mit Worten ganz nah an der Musik

Düsseldorf. Wenn Joachim Kaiser über ein Konzert oder eine Opernpremiere schrieb, nahm er den Leser gewissermaßen an die Hand. Kaiser kannte viel, prahlte aber nicht mit seinem Wissen, sondern ließ freundschaftlich daran teilhaben.

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Der gebürtige Ostpreuße, Jahrgang 1928, war ein sanfter Missionar, der unbedingt verstanden werden wollte. Jetzt starb er in seiner Wahlheimat München, jener Stadt, in deren Musikleben er jahrzehntelang als Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung präsent, gefürchtet, aber auch sehr geschätzt war.

Kaiser genoss aber auch internationale Berühmtheit, zum Beispiel weil er viel beachtete Bücher schrieb über „Große Pianisten unserer Zeit“, über Richard Wagner, aber auch über Theater. Viele Größen des Kulturlebens zollten ihm Respekt — vom Pianisten Arthur Rubinstein, der sich von Kaiser wie von keinem zweiten verstanden fühlte, bis zur Schauspiel-Legende Gustaf Gründgens, der in einem Fernsehinterview aus den 50er Jahren einmal offen zugab, bei Premieren besonders aufgeregt gewesen zu sein, wenn (der damals gerade einmal 30-jährige) Kaiser unter den Rezensenten war.

Zu den besonderen Gaben Kaisers gehörte eine Sprache, die ganz nah an der Musik dran war. Wenn er an einer Mozart-Stelle von „boshaft kichernden Holzbläsern“ schrieb oder vom „betörenden Ton“ Rubinsteins, dann formulierte er sehr eigenwillig und treffend zugleich. Das machte ihm auch so schnell keiner nach, selbst wenn ihn manch jüngerer Kollege versuchte zu kopieren.

Dass Kaiser dem Zeitgeist nicht hinterherlief, wurde in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstags in unserer Zeitung deutlich. Darin äußerte er sich kritisch über die Willkür gerade der im Trend liegenden Opernregisseure. Er verlor dabei aber nicht den Humor und sagte spöttisch über eine Tannhäuser-Inszenierung, die die Handlung vom erzkonservativen Mittelalter ins freizügige Paris um 1900 verlegte: „Als der Tannhäuser sagt, dass er im Venusberg war, brechen alle zusammen. Aber wenn er das zu Leuten wie dem Marcel Proust sagen würde, hätten diese vielleicht geantwortet: ‚Das hört sich ja interessant an, geben Sie mir doch mal die Adresse.’“ Kaisers unverwechselbare, beim Sprechen ostpreußisch gefärbte Stimme, wird fehlen.