Als Nirvana nicht mehr berühmt sein wollten
Vor 20 Jahren erschien „In Utero“ — ein ebenso verzweifelter wie brachialer Versuch, aus dem Musikgeschäft auszusteigen.
Seattle. Im Februar 1993 machen sich drei langhaarige Typen aus dem kalten Nordwesten der USA auf den Weg in das kleine Cannon Falls im Bundesstaat Minnesota. Dort, im Pachyderm Studio, wollen die Musiker ihr drittes Album aufnehmen. Im Jahr zuvor hatten sie mit dessen Vorgänger die Musikwelt auf den Kopf gestellt und ein Album veröffentlicht, das sich bis heute 30 Millionen Mal verkauft hat. In aller Abgeschiedenheit soll nun alles anders werden — Nirvana nehmen ihr drittes Studioalbum „In Utero“ auf. Im September vor 20 Jahren ist es erschienen.
Der Erfolg, den die Band mit dem Vorgängeralbum „Nevermind“ hat, wird ihr bald zu viel - obwohl es vor allem das von Sänger Kurt Cobain explizit definierte Ziel war, die größte Band des Planeten zu werden. In einer Zeit, in der polierter Pop die Musikwelt dominiert, verkauft sich die Platte bis zu 300 000 Mal in der Woche. „Grunge“, wie die laute, von Punk und Hardcore beeinflusste Musikrichtung aus Seattle von nun an genannt wird, inspiriert nicht nur andere Bands — auch in der Kunst und Mode ist der Einfluss spürbar.
Junge Leute in Flanellhemden sind plötzlich auf den Titelseiten der Hochglanzmagazine abgebildet, weitere Bands aus Seattle — Pearl Jam, Soundgarden oder Alice in Chains — werden populär. Doch Nirvana um Kurt Cobain, Bassist Krist Novoselic und Schlagzeuger Dave Grohl gelten als die Gallionsfiguren der Szene — und genau die wollen sie nicht mehr sein. Sie wollen wieder dahin zurück, wo sie hergekommen sind. „In Utero“ soll sich an die Härte des Debüts „Bleach“ anschließen und nur so klingen, wie die Musiker es wollen.
Unter falschem Namen mieten sie sich also in diesem abgeschiedenen Studio ein, um dort in aller Ruhe mit dem Produzenten Steve Albini arbeiten zu können. „In Utero“ soll nicht radiotauglich werden — vielmehr soll es so roh und echt wie möglich klingen. So nehmen sie in nur zwölf Tagen zwölf Songs quasi live auf — bei vielen schafft es direkt die erste Aufnahme auf das Album. Zwar finden sich auch auf „In Utero“ wieder eingängige Melodien, aber ständig werden sie durch aggressivere Parts und Gitarrensoli unterbrochen.
Doch der Plan der drei Musiker geht nicht auf: Trotz der Abkehr von der Popwelt landet essowohl in England als auch in den USA an der Spitze der Charts. „In Utero“ bleibt Nirvanas letztes Studioalbum, etwa ein halbes Jahr nach dessen Veröffentlichung ist Kurt Cobain tot — mutmaßlich nahm er sich selbst das Leben.