Barenboim dirigiert Bruckner-Marathon in Wien
Berlin/Wien (dpa) - Daniel Barenboim (69) kehrt mit einem Konzertmarathon in Wien an den Ort seines Karrierebeginns zurück.
Fast sechzig Jahre nach seinem ersten Konzert in Europa wird er von diesem Donnerstag an (bis 17. Juni) die neun Sinfonien Anton Bruckners mit der Staatskapelle Berlin im Musikvereinssaal aufführen. „Dass wir zum 200. Geburtstag der Gesellschaft der Musikfreunde eingeladen werden, ist eine große Ehre“, sagte der Dirigent und Pianist der Nachrichtenagentur dpa.
„Wien war die erste europäische Hauptstadt, in der ich gespielt habe - Ende dieses Jahres werden es seitdem 60 Jahre sein“, sagte Barenboim. Mit der österreichischen Hauptstadt verbindet der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper die ersten Erinnerungen an Europa, nachdem er mit seinen Eltern von Argentinien nach Israel ausgewandert war. „Wien war damals eine besetzte und geteilte Stadt.“ Ihm sei die Stadt zunächst sehr fremd vorgekommen. „Ich habe aber alles begierig aufgenommen, das Musikleben war unglaublich.“
Zwar sei seine Heimatstadt Buenos Aires damals ein internationales Musikzentrum gewesen. „Es kamen die großen Dirigenten, der Spielplan des Teatro Colón wurde von Fritz Busch und Erich Kleiber geprägt.“ Doch in Österreich habe er mit den Wiener Philharmonikern erstmals ein Spitzenorchester gehört.
Eine Einladung des Dirigenten Wilhelm Furtwängler in Salzburg, bei den Berliner Philharmonikern aufzutreten, habe sein Vater ausgeschlagen. „Mein Vater empfand das als eine große Ehre, lehnte aber ab. Neun Jahre nach dem Holocaust war es für eine jüdische Familie, die nach Israel übergesiedelt war, zu früh, um nach Deutschland zu gehen.“
Er habe seinen Vater gefragt, warum dieser sich gegen Deutschland und für Österreich entschieden habe. „Er sagte mir, dass die Österreicher behaupteten, dass sie Opfer der Deutschen gewesen waren. Ganz überzeugt davon war er aber nicht.“
„Ich war damals eigentlich sehr kurz in Wien, aber es hat einen Eindruck hinterlassen, wie keine andere europäische Hauptstadt. In Wien gehört Musik zum Alltag. Der Hotelportier weiß, was in der Oper gespielt wird, der Taxichauffeur kennt das Konzertprogramm.“ Und dann noch der Klang, „diese Geschmeidigkeit der Wiener Philharmoniker. Das kann man nicht nachmachen - und sollte es auch nicht.“
Auch heute noch sei er gerne in Wien - vor allem in der warmen Jahreszeit. „Als leidenschaftlicher Zigarrenraucher sind mir Mai und Juni lieber. Dann kann man draußen sitzen und rauchen.“
Mit dem Auftritt setzt Barenboim die Aufführung großer Zyklen in Wien, etwa der Sinfonien von Johannes Brahms und Gustav Mahler, fort. „Bruckner war nach dem Krieg nur in Wien populär. In Amerika und England, wo ich sehr aktiv war, und auch in Frankreich wurde er kaum gespielt.“ Seit einigen Jahren werde der Komponist mehr und mehr akzeptiert.
„Ich habe Bruckner zum ersten Mal bei einem Konzert mit Rafael Kubelik gehört. Nachdem ich ein Beethoven-Klavierkonzert gespielt hatte, führte er die Neunte auf - ausgerechnet in Australien.“ Was ihn an Bruckner fasziniere, sei die Verbindung von der harmonischen Sprache aus der Zeit nach Richard Wagner mit der mittelalterlichen Atmosphäre. „Man hat das Gefühl, dass man Musik über sechs Jahrhunderte spielt.“