Barenboim und Waltz feiern „Tannhäuser“-Premiere
Berlin (dpa) - In Paris quittierte das feine Premierenpublikum Richard Wagners „Tannhäuser“ einst mit einem Trillerpfeifenkonzert, weil der große Meister den Herren das in Frankreich übliche Ballett im zweiten Akt vorenthielt.
Bei der Neuinszenierung des romantischen Minnesänger-Dramas an der Berliner Staatsoper holt Starchoreografin Sasha Waltz in einem tänzerischen Geniestreich all das nach, was seit 1861 in allzu statischen Aufführungen verpasst worden sein mag.
Leider schießt sie jedoch übers Ziel hinaus. Nach der musikalisch umjubelten Festtage-Premiere unter Leitung von Daniel Barenboim am Samstagabend ist die Regisseurin die einzige, die auch Buhrufe einstecken muss. Bravo, bravo dagegen für die hochkarätigen Solisten. Neben dem anfangs etwas zu routiniert wirkenden Weltklasse-Tenor Peter Seiffert in der Titelrolle wird vor allem Peter Mattei als Wolfram von Eschenbach mit seinem ahnungsvollen „Abendsternlied“ zum Publikumsliebling gekürt.
Dabei fängt die Inszenierung grandios an: In einem riesigen silberfarbenen, zum Publikum hin offenen Trichter feiert Liebesgöttin Venus (Marina Prudenskaya) ein ausschweifendes Trinkgelage. Die 18 Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Sasha Waltz & Guests bauen in ihrer sich verschlingenden, auseinanderstrebenden und immer wieder magnetisch verwobenen Körpersprache so viel erotische Spannung auf, dass buchstäblich spürbar wird, warum Minnesänger Tannhäuser aus der bigotten Enge der Wartburger Gesellschaft in Venus' Arme geflüchtet ist.
Auch später sorgt der ausdrucksstarke Tanz für wunderbare, auch poetische Momente - etwa vor dem Opfertod des herzgebrochenen Burgfräuleins Elisabeth, wenn Tänzer wie Vorboten aus dem Jenseits schemenhaft aus dichtem, weichen Nebel auftauchen. Aber oft wirken die von Waltz als „Gesamtkunstwerk“ erdachten Bilder auch einfach nur überladen - oder sie stehlen der Musik die Schau. Die Frau, die mit genialem Wurf gern auch leere öffentliche Gebäude bespielt, findet auf der Bühne des Schillertheaters neben dem imposanten Chor nicht genügend Raum.
Manch eingefleischter Wagnerianer hätte auf die Tanzszenen - am Venusberg zudem mit viel nackter Haut - wohl lieber verzichtet. „Albernes Rumgehopse“, meint eine ältere Dame in der Pause. Die Musik stößt dagegen auf einhellige Begeisterung. Barenboim setzt mit seiner Staatskapelle bewusst auf langsame, genüssliche Tempi und höchste Präzision. „Auch Stille braucht Bewegung“, sagte der 71-jährige Maestro im Vorfeld. Wunderbar ebenfalls der oft fast ätherisch klingende Staatsopernchor, der sich ohne Berührungsängste von den Tänzern einbinden lässt.
Bei den Solisten gelingt das in unterschiedlichem Maße. Der stattliche Peter Seiffert genießt zwar im weißen Pyjama die Liebkosungen der Sirenen, bleibt aber nach seiner reumütigen Rückkehr auf die Wartburg eher der Fels in der Brandung. Für die anrührendsten Momente sorgt die Dänin Ann Petersen mit ihrem warmen Sopran, die als verzweifelt liebende Elisabeth Tannhäusers Schuld vom Venusberg durch den eigenen Tod sühnen will. Auch René Pape kann als sittenstrenger Landgraf überzeugen.
Sasha Waltz hat als Analogie zur Architektur der Hauses die Handlung in die 50er Jahre verlegt. Gemeinsam mit Bühnenbildnerin Pia Maier Schriever schuf sie ein minimalistisches, aber hoch eindrucksvolles Bühnenbild. Kostümbildner Bernd Skodzig sorgte für die passende schlicht elegante Garderobe - vom fliegenden Ballkleid bis zum wollenen Büßerhemd. Für sie sei die Arbeit künstlerisch und menschlich eine besondere Herausforderung gewesen, sagte Waltz schon vor der Premiere. „Das war ein Reifungsprozess.“ Vielleicht ist er noch nicht abgeschlossen.