Poet mit Schreibblockade? Bob Dylan singt erneut Uralt-Klassiker

Berlin/Stockholm (dpa) - Ein Bob Dylan macht, was er will. Wenn das Nobelkomitee ruft, heißt es noch lange nicht, dass er nach Stockholm eilt, um sich den Preis für seine phänomenale Pop-Poesie abzuholen.

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So schickte Dylan im Dezember nach wochenlangem Hin und Her die geschätzte Kollegin Patti Smith zur Feierstunde, um zum Dank den Jahrhundertsong „A Hard Rain's A-Gonna Fall“ vorzutragen. Er selbst hatte „andere Verpflichtungen“.

Auch Langzeitfans zeigten wenig Verständnis für die Eskapaden des ersten Literatur-Nobelpreisträgers aus der Rockmusik. Am 1. und 2. April taucht der größte Songwriter seiner Generation nun doch noch in Schwedens Hauptstadt auf - zu zwei Konzerten im Stockholm Waterfront. Dabei soll er im kleinen und intimen Rahmen die Auszeichnung „für seine poetischen Neuschöpfungen in der amerikanischen Songtradition“ entgegennehmen.

Der legendäre Musiker hat dann auch das erste Dreifach-Studioalbum seiner Karriere im Gepäck - 30 Lieder in gut 90 Minuten. Wer nach dem Nobel-Lebenswerktriumph eine neue kreative Leistungsexplosion erhofft hatte, muss sich noch gedulden. Und wohl auch darauf hoffen, dass „Triplicate“ nicht Indiz für eine ernsthafte Schreibblockade des eigentlich so unermüdlichen Genies ist.

Späten Meisterwerken mit eigenen Texten wie „Time Out Of Mind“ (1997), „Modern Times“ (2006) oder „Tempest“ (2012) fügt die üppige, in ein Weinrotmetallic-Cover gehüllte neue Songsammlung jedenfalls nichts Neues hinzu. Sie knüpft stattdessen bei „Shadows in The Night“ (2015) und „Fallen Angels“ (2016) an. Beide Alben bestanden komplett aus Fremdmaterial - genau genommen aus Lieblingsliedern Dylans, die einst zum großen Teil sein Idol Frank Sinatra gesungen hatte.

Wieder bemüht sich der 75-Jährige nun auf „Triplicate“, dem Great American Songbook „Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“, wie er selbst sagt. Seine Näselstimme passt eigentlich nicht zu den mit Tour-Band und Bläsern aufgenommenen Standards und Balladen wie „September Of My Years“, „Stormy Weather“, „As Time Goes By“ (der „Casablanca“-Tränenzieher) oder „Sentimental Journey“. Und es geht auch - wie schon auf den in Sinatras großen Fußstapfen daherkommenden Vorgängern - mancher gesungene Ton daneben. Aber den Willen zum Wohlklang kann man Dylan kaum absprechen, er ist mit viel Liebe zu den jahrzehntealten Songs bei der Sache.

Der Meister selbst hat - vielleicht um Interview-Stress und auch unangenehmen Fragen zu entgehen - auf seiner Webseite ein langes Gespräch mit dem Autor Bill Flanagan platziert. Die Lieder von „Triplicate“ seien „thematisch miteinander verbunden“, deshalb die enorme Materialmasse auf gleich drei Tonträgern, erklärt Dylan. Und auf die Frage, was wohl seine treuen Verehrer von den in Hollywoods Capitol-Studios eingespielten Uralt-Klassikern halten, sagt er: „Diese Lieder richten sich an den Mann auf der Straße, den ganz normalen Menschen. Vielleicht ist das ein Bob-Dylan-Fan, vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht.“

Dylan, der seine eigenen Songs im Konzert gern mit krächzendem Gesang und schrägen Tonfolgen bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, begründet den respektvollen Umgang mit den romantischen und sentimentalen Stücken von „Triplicate“ so: „Man will diese Worte doch nicht in rüpelhafter Weise ausspucken.“ Ob demnächst wieder eigenes Material von ihm zu erwarten ist - diese Frage vermeidet Interviewer Flanagan, der sich überwiegend als Stichwortgeber für Dylans nostalgische Jazz-Euphorie und seinen Blick in den Rückspiegel versteht.

Mehr als 125 Millionen Platten hat der Mann aus Duluth/Minnesota im Laufe einer 55-jährigen Karriere nach offiziellen Angaben verkauft. Auch die zwiespältigen Sinatra-Adaptionen waren weltweite Hits mit Top-Platzierungen in den Charts und Grammy-Nominierungen. Dylan hatte also keinen Grund, seiner Leidenschaft für das klassische amerikanische Liedgut rasch abzuschwören. Dem „Picasso des Songs“ (so nannte ihn der kaum weniger begabte Pop-Poet Leonard Cohen) ist indes auch noch ein kühnes Alterswerk zuzutrauen, das eines Nobelpreisträgers der Literatur würdig ist.

Immerhin: Bei der komplizierten Nobelpreis-Übergabe zeichnete sich vor Dylans Stockholm-Konzerten ein Happy-End ab. „Die gute Nachricht ist, dass die Schwedische Akademie und Bob Dylan sich entschieden haben, sich an diesem Wochenende zu treffen. Die Akademie wird dann Dylans Nobel-Diplom und die Nobel-Medaille überreichen und ihm zum Literatur-Nobelpreis gratulieren“, schrieb am Mittwoch Akademie-Chefin Sara Danius in ihrem Blog.

Die traditionelle Nobelvorlesung werde Dylan bei dieser Gelegenheit gleichwohl nicht halten. Dies müsste Dylan eigentlich innerhalb eines halben Jahres nach der offiziellen Feier im Dezember tun, um den Preis auch wirklich zu bekommen. Er kann die Vorlesung allerdings als Video einreichen. „Die Akademie hat Grund zu der Annahme, dass eine aufgenommene Version zu einem späteren Zeitpunkt gesendet werden wird“, hieß es in Danius' Blog. Deshalb bekomme der Amerikaner seinen Preis schon jetzt. So klingt wohl - leicht genervte - Erleichterung.

Deutschland-Konzerte von Bob Dylan und Band im April: Hamburg (11.4.), Lingen (12.4.), Düsseldorf (13.4.), Frankfurt/Main (25.4.), Hannover (26.4.)