Christiane Rösinger und die Traurigkeit
Frankfurt/Main (dpa) - Die Sängerin Christiane Rösinger war mit den Bands Lassie Singers und Britta bisher vor allem eine Berliner Szene-Größe. Nun hat sie ihr Solo-Debüt draußen, mit dem sie gerade tourt.
Der Indie-Rock von Britta ist passé, das Feuilleton feiert sie für ihre Traurigkeit.
Christiane Rösinger ist wohl die größte lebende deutsprachige Songwriterin. Das könne schon sein, meint die Kreuzbergerin nüchtern. „Aber so viele gibt's davon ja auch nicht.“ Seit einigen Tagen ist die Gründerin der Bands Lassie Singers und Britta 50 Jahre alt, ein Alter, in dem die deutsche Plattenindustrie Musikerinnen nur als Nena und Musikantenstadl-Stars duldet. Und ausgerechnet jetzt (jetzt erst recht?) hat Rösinger ihr erstes Solo-Album veröffentlicht. „Songs of L. and Hate“ heißt das vom Feuilleton gefeierte Werk, auf dem sich neben tonnenweise poetischer Traurigkeit auch eine neue, so witzig-kluge Berlin-Hymne versteckt. Gerade ist Rösinger mit der CD auf Deutschland-Tournee gegangen.
„Wenn die Ökoeltern sich zum Brunchen treffen und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen, wenn der Service hinkt und es nach Babykotze stinkt, ja dann sind wir wieder in Berlin“, so geht „Berlin“. Es handelt auch noch von: Laptop-Posern, Hostel-Horden, Hundehaufen und Leuten, die laut mit sich selber reden. Eben exakt Berlin. Beim Konzert im ausverkauften Frankfurter Mousonturm ist das Lied Zugabe. Rösinger singt es in ihrer desinteressiert wirkenden, die Augen zur Seite rollenden Art. Mit dem verwuschelten schwarzen Kurzhaar, der Melancholie und der weiten schwarzen Leinen-Hemd-Bluse ist sie auch ein bisschen französische Chanson-Sängerin.
Rösinger textet und komponiert ihre Lieder bei sich in Kreuzberg auf der Couch mit der Gitarre. Sie hat immer noch eine Ofenheizung. Und keine Haftpflichtversicherung. Das klinge jetzt allzu ärmlich, sagt sie. Aber: „Es wäre halt schön, wenn man mit Musik mal wirklich Geld verdienen würde, und zwar nicht Millionen, sondern einfach ein Auskommen.“ Nebenher arbeitet sie als Journalistin (etwa für die „taz“) als Kolumnistin für einen österreichischen Radiosender, lädt zur Kult-Veranstaltungsreihe „Flittchenbar“ und schreibt Bücher.
Zurück zur Musik: Die „Süddeutsche Zeitung“ nennt die CD „derzeit die schönste traurige Musik in deutscher Sprache weit und breit“. Andere Frauen kauften sich bei Kummer Handtaschen, sie schreibe Songs, sagt Rösinger. Das Konzert fängt an mit „Sinnlos“. Geradezu Beklemmungen auslösend ist „Ich muss immer an dich denken“, in dem eine Person immer unerwidert an die andere denkt, sich durchschaut, aber nichts ändern kann. Wohl jeder erkennt sich wieder. „Mir haben ein paar Leute geschrieben, dass sie die CD einerseits ganz toll finden, aber Angst haben, sie sich anzuhören“, sagt Rösinger ratlos.
Trotz „melancholischer Grundstimmung“ ist sie auch „Komikerin“, wie sie sagt. Auf dem Album macht sie sich im durchaus tanzbaren „Es ist so arg“ über ihre „melancholische Hypochondrie“ lustig. Beim Konzert kramt sie die „Pärchenlüge“ (1992) von ihrer ersten Band Lassie Singers raus. Da geht's um die „Pärchendiktatur“ und hämisch um die „RZB“, die „romantische Zweier-Beziehung“. Damit beschäftigt sich auch Rösingers zweites Buch, ein Sachbuch über Liebestheorien. „Eine meiner Grundthesen lautet: Das Paar ist die niedrigste aller Lebensformen, es steht nur kurz über dem Pantoffeltierchen.“
Selber fällt sie aber auch immer wieder auf die Liebe rein, klagt Rösinger amüsiert, die vor 25 Jahren allein mit ihrer Tochter aus Baden-Württemberg nach Berlin übersiedelte. Heute ist die Tochter 29, und Rösinger hat einen Enkel, der im Februar ein Jahr alt wird.
Musikerin werden wollte sie schon, als sie als Mädchen auf einem Acker mit einer Karotte in der Hand Hitparaden-Songs nachsang. Der auch so traurige Leonard Cohen ist ihr männliches Vorbild, weibliche Idole sind Patti Smith und Nina Hagen. Ist sie wütend, dass es Frau im Musikzirkus schwer hat, gerade wenn sie sich nicht sexualisieren lässt? „Ich reg' mich da nicht mehr auf. Ich hab' mein Leben lang gegen die Geschlechterverhältnisse in der Popmusik gekämpft, jetzt mit 50 ist erst recht nichts mehr zu machen.“ Vielleicht ja doch.