Musiker setzen auf Fans im Web
Cannes (dpa) - Vor dem Webzeitalter schien alles so einfach: Ein Musiker machte eine Platte, sein Label kümmerte sich um den Rest. Heute sind die meisten Musiker nicht nur Künstler, sondern kümmern sich um Marketing, Fanbetreuung, ihre Website...
Doch das muss kein Nachteil sein.
„Das Internet ist böse, es klaut unsere Musik“ - so lautete noch vor wenigen Jahren das Credo etlicher Musikmanager. Heute haben sie erkannt, dass es ohne das Web nicht geht. Doch hört man auf Branchentreffs wie der Musikmesse Midem in Cannes immer noch reichlich Wehklagen über Piraten, unzureichenden gesetzlichen Schutz der Urheber und sinkende Plattenverkäufe. Viele Musiker sind da ganz anders drauf - besonders die junge Avantgarde. Sie nutzen das Internet als Spielwiese für Experimente und den direkten Fan-Kontakt.
„Ich arbeite mit meinen Fans zusammen. Sie schicken mir selbst gedrehte Filme, Fotos, Texte, Ideen und ich mache daraus Songs und Videoclips“, sagte die britische Sängerin Imogen Heap am Wochenende zum Start des Kongresses Midemnet, der mit der Midem verbunden ist. Auf diese Art wolle sie vier Lieder pro Jahr schreiben. „Ich bin viel auf Tour und komme kaum zum Songschreiben. Mit der Unterstützung der Fans kann ich mir die regelmäßige Auszeit viel besser nehmen.“
Auch ein Chartstürmer wie der französische Star-DJ David Guetta kann sich ein Musikerleben ohne soziale Netzwerke nicht vorstellen. Bei Facebook hat er mittlerweile rund 15 Millionen Fans - der Grund? Er gebe viel von sich und seiner Musik über das Netzwerk an die Fans, das verbinde. Und: „Ich twittere selbst, das macht kein anderer für mich“, erklärte er. So bleibe er in direktem Kontakt zu den Fans, die meist erheblich jünger seien - ein weiterer Vorteil: „Inspiration kommt immer von der jüngeren Generation. Ich lerne viel von denen.“
Branchenriesen geißeln häufig die schlechten Rahmenbedingungen - so auch Jean-Bernard Lévy, Chef des Universal-Music-Mutterkonzerns Vivendi, der vor allem in Deutschland ein schärferes Vorgehen gegen Musikpiraten anmahnte. Doch kleinere, jüngere Unternehmen sehen häufiger die Vorteile der neuen Ära: „Eine innige Verbindung zu den Fans kann für eine Band das Fundament einer lebenslangen Karriere sein“, meinte Emily White von der US-Firma Whitesmith Entertainment.
„Manchmal ist es sinnvoll, Musik umsonst abzugeben, um eine Fan-Basis aufzubauen, die sich später auszahlt“, ergänzte Mathieu Drouin von Chrystal Math Management in Kanada. So habe die Indierockband Metric ein Album für 99 Cent beim Service Spotify angeboten - „die Ticketverkäufe schnellten in die Höhe und mittlerweile machen sie Millionen“, unter anderem mit dem Song „Eclipse“ vom „Twilight“- Soundtrack.
Die US-Gruppe OK Go selbst ist ein echtes Internetphänomen: Ihre Clips werden im Netz millionenfach angeklickt und waren die Basis für ihre weltweite Bekanntheit. Die meisten Künstler müssten heutzutage eben viele verschiedene Wege gehen, um von ihrer Musik leben zu können: „Das Album als Kern der Musikindustrie ist tot“, sagte Sänger Damian Kulash. Wichtig: Die Vernetzung mit den Fans. Ok Go bieten Remix-Wettbewerbe, rufen Fans zum Videodreh auf oder veröffentlichen deren Grafikentwürfe für das Plattencover.
Einen Schritt weiter geht Imogen Heap: „Ich habe mal einen Cellisten gesucht, der ein Stück eines Songs spielen sollte. Das lief per Internet - viele Fans haben mitgemacht, und es waren einige sehr gute Cello-Spieler dabei. Das ist praktisch wie ein Vorspielen per Web-Kamera“, sagte sie. „Ich sitze im Hotelzimmer und höre mir Leute aus aller Welt an, die meine Songs singen oder auf dem Piano spielen, das ist fantastisch.“
Auf Interaktivität setzen auch Ok Go: Im April will die Band ein Video veröffentlichen, das im neuen Internetstandard HTML5 gedreht ist - damit haben bereits Arcade Fire und die Gorillaz experimentiert. Der Clou: Das Video lässt sich mit Web-Inhalten wie Google Maps verbinden und kann interaktiv vom Fan beeinflusst und verändert werden. „Wir haben nicht das Gefühl, dass wir die neuen digitalen Techniken nutzen müssen, um daraus ein Geschäft zu machen, sondern wir tun das wegen der kreativen Möglichkeiten.“