Das neue Album von Placebo - ein Ritt mit dem Teufel
Placebo sind im Laufe ihres 15-jährigen Bestehens zu einer echten Institution geworden – vor allem, weil sie musikalisch komplett alleine stehen, wie unser Experte euphorisiert feststellt. Wir blicken zurück und stellen das neue Album "Battle fot the sun" vor.
Düsseldorf. Eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass sie derart groß wurden. Als sich die Musikstudenten Brian Molko und Stefan Olsdal 1994 zufällig an der Londoner U-Bahnstation South Kensington über den Weg liefen, sich ihrer gemeinsamen Schulzeit erinnerten und kurze Zeit später die Band Placebo gründeten, regierte in England und dem Rest Europas der Britpop. Oasis hatten ihr Debütalbum "Definitely Maybe" rausgebracht und entzückten die Welt mit ihrer unschlagbaren Coolness. "Tonight I’m a Rock’n’Roll-Star" war das Gebot der Stunde - sofern man nicht auf die Oasis-Kontrahenten Blur stand und deren Platte "Parklife" ("Girls & Boys") im CD-Spieler rotieren ließ.
Wie auch immer: Beatle-esker Gitarrenpop war angesagt. Lässige Verspieltheit war Trumpf. Und ausgerechnet in diese Welt aus forschen Sonnyboys (Damon Albarn) und Proleten am Mikrofon (Liam Gallagher) krachten Placebo hinein wie eine Horde ernst dreinblickender Außerirdischer, die eine höchst irdische Spaßgesellschaft aufmischen. Sie wüten bis heute.
Placebos Musik versprüht seit der ersten Erfolgssingle "Nancy Boy" - die sich 1997 zäh knarzend und unwiderstehlich mit ihren Disharmonien ins Gehör fraß - eine Aura des Gefährlichen. Mit Britpop-Party hatte diese Mischung aus flirrenden Synthesizern und kreischenden, rasiermesserscharfen Gitarrenriffs noch nie etwas zu tun. Immer schon klang sie kalt und irgendwie klinisch.
Die Texte sind seit jeher düster, Songs wie "Special K", "Slave To The Wage", "Teenage Angst" oder "Bitter End" handeln von gescheiterten Beziehungen, Außenseitertum und Drogenkonsum. Zudem taugen Frontmann Molko mit seinen langen schwarzen Haaren und Bassist Olsdal, der live gerne mal Rock trägt, nicht als klassische Rollenmodelle: Anstatt auf der Bühne ihre Männlichkeit auszuleben, kamen sie von der ersten Stunden an seltsam androgyn daher, gestanden recht schnell ihre Bisexualität und feierten die Wiederauferstehung des Kajalstifts. Wenn damalige Oasis-Konzerte biergeschwängerte Pub-Sessions waren, dann waren die ersten Auftritte Placebos Intellektuellen-Treffen in schummrigen Kneipen, bei denen dem Absinth und der Depression gehuldigt wurde.
Aber das Düstere, das Andere zieht den Menschen nun einmal an. Und genau diese Abgrenzung gegenüber dem musikalischen Status Quo, genau diese Einzigartigkeit im Sound waren schon immer die Trümpfe der Band und machten sie nach Auftritten im Vorprogramm von U2 (und der aus dem Hollywood-Film "Eiskalte Engel" bekannten Single "Every You Every Me") schließlich selbst zu Hauptakteuren. Einen Placebo-Song erkennt man dank Molkos kratzender Reibeisenstimme nach zwei Sekunden. Bis auf Nuancen veränderte das Trio seinen Mix aus Referenzen an Joy Division, die Smashing Pumpkins, den frühen David Bowie und die Pixies nie.
Auch nicht auf ihrem siebten Studioalbum "Battle For The Sun", das ab dem 5. Juni in den Regalen steht. Die Platte hätte auch 1996 (dem Jahr, in dem Placebo ihr gleichnamiges Debüt herausbrachten) oder 1998 (da veröffentlichten sie ihre bis dato erfolgreichste Platte "Without You I’m Nothing") herauskommen können. Placebo stehen musikalisch komplett alleine. So einfach ist das. Sie vereinen die Sympathien von Punks, Indie-Beschwörern, Grunge-Nostalgikern und Gothic-Anhängern auf sich und dürften - spätestens seitdem Stammschlagzeuger Steve Hewitt 2007 die Band verließ und durch den 22-jährigen Teenieschwarm Steve Forrest ersetzt wurde - gar als Geburtshelfer der jugendlichen Emo-Szene gelten. Das sind Referenzen.
Was indes am wichtigsten für ihren Erfolg sein mag: Placebo können trotz ihres düsteren Images lachen. Im "Musikexpress" verkündeten sie jüngst, trotz Schönling Forrest am Schlagzeug ab sofort so viele Gothic- und Emo-Mädchen wie möglich vergraulen zu wollen. Und im "Rolling Stone" stellte Molko schmunzelnd fest: "Es steckt jede Menge Leben im alten Hund Placebo." Einem Hund, der laut bellt und auf den man sich verlassen kann, der aber ungefährlich ist und ganz bestimmt nicht beißt.