Das Philadelphia Orchestra meldet Konkurs an

New York (dpa) - Während oben in der Anwaltskanzlei abgestimmt wurde, spielten unten in der Lobby ein paar Musiker Samuel Barbers „Adagio for Strings“.

Doch der Protest mit dem traurigen Streicherstück, das jeden Tag irgendwo auf Beerdigungen gespielt wird, half nichts: Der Verwaltungsrat des Philadelphia Orchestras stimmte an diesem Samstag für einen Konkursantrag des 111 Jahre alten Ensembles. Das Orchester, eines der „Big Five“ der USA und eines der besten der Welt, ist pleite. Doch es soll weitergehen.

Seit 1900 gibt es in der Stadt der Unabhängigkeitserklärung das Orchester, und es war eines der „deutschesten“ in der deutsch geprägten Klassikszene der USA. Gegründet wurde es von dem Ostholsteiner Fritz Scheel, der sich, so hieß es, so für seine Musiker verausgabte, dass er schon mit 54 Jahren starb. Die Probensprache war Deutsch, auch als das Orchester vor Präsident Theodore Roosevelt spielte.

Das blieb auch unter Scheels Nachfolger, dem Franz-Liszt-Schüler Karl Pohlig, so. Aber berühmt machte Leopold Stokowski das Orchester, mit dem er hunderte Platten aufnahm. Die Musik für Walt Disneys legendären Film „Fantasia“ wurde hier eingespielt. Schließlich war es Eugene Ormandy, der von 1938 bis 1980 das Philadelphia Orchestra leitete und es endgültig zu Weltruhm führte. Für seine Nachfolger Riccardo Muti und die beiden Deutschen Wolfgang Sawallisch (1993 bis 2003) und Christoph Eschenbach (2003 bis 2008) war es dann schon eine Ehre, Chefdirigent am Delaware River zu sein. „Ein nationaler Schatz, kein lokaler“, urteilt die „New York Times“.

„The Big Five“ nennt man die Weltklasseorchester in New York, Boston, Chicago, Cleveland und eben in Philadelphia, weil sie in der Musikszene einen außerordentlichen Ruf genießen. Fast komplett ohne staatliche Zuschüsse sammeln sie die Elite der Musikwelt, der es nicht selten eine Ehre ist, dort für ein Viertel oder Fünftel dessen zu spielen, was sie in Mailand, London oder Berlin bekommen würden. Die Programmhefte zählen am Ende die Sponsoren auf, ohne die das nicht möglich wäre. Manchmal sind es Firmen, meistens aber Privatiers, die zuweilen tausend, zuweilen fünf Millionen Dollar geben.

Doch während der Wirtschaftskrise saß auch da das Geld längst nicht mehr so locker. Praktisch allen Orchestern und Theatern in den USA weht ein rauer Wind ins Gesicht. Wegen der Kürzung ihrer Bezüge streikten gerade die Musiker des Detroit Symphony Orchestra ein halbes Jahr. Im letzten Jahr streikte das Cleveland Orchestra, auch eines der „Big Five“, weil die Musiker keine fünfprozentige Gehaltskürzung hinnehmen wollte. Die Baltimore Opera ging schon in Konkurs, ebenso die Orchester in Syracuse bei New York und nach 110 Jahren auch das in Honolulu. Die New Yorker Oper spielt ein Defizit nach dem anderen ein. Aber das ist alles nichts gegen Philadelphia.

Laut Management kann das Orchester keine zwei Monate mehr seine Rechnungen zahlen. Gut 13 Millionen Dollar (neun Millionen Euro) fehlen. Zwar könnte eine Spendenaktion acht Millionen Dollar bringen, aber fünf Millionen würden dann eben immer noch fehlen - und das nur in dieser Spielzeit. Schwer lasten die Verträge, auch die mit dem vor zehn Jahren eröffneten Kimmel Center, der modernen Spielstätte. Zudem war das Orchester großzügig mit seinen Mitarbeitern. Wer 30 Jahre dabei war, kann mit 80 000 Dollar Jahresrente rechnen. All das soll sich ändern. Als der Verwaltungsrat für den Konkurs votierte, stimmten nur fünf dagegen - die Vertreter der Musiker.

Die sehen den Ruf ihres Hauses beschädigt. „Wenn Sie sich um uns Gedanken machen, lassen Sie uns nicht allein. Umarmen Sie uns!“, hieß es am Samstag im Programmheft, nur Stunden nach dem Konkurs. Der Abend verlief symbolisch. Ein schweres Gewitter ging über dem Kimmel Center nieder. Doch zuletzt spielten die Musiker Gustav Mahlers 4. Symphonie („Kein' Musik ist ja nicht auf Erden, die unsrer verglichen kann werden“), in der der Tod erscheint, und die dennoch heiter endet. Das Publikum jubelte minutenlang.