Die Jungs von U2 mit Neuem
Das neue Album „No Line On The Horizon“ bekräftigt den Weltrang der irischen Band.
Düsseldorf. Ob die Erde heute noch bebt? Immerhin steht das neue U2-Album "No Line On The Horizon" seit gestern in den Läden. Es ist das erste Studioalbum seit vier Jahren der erfolgreichsten (22 Grammys, über 140 Millionen verkaufte Platten) und damit größten Band der Welt. Allein dieser Umstand macht "No Line On The Horizon" schon jetzt zur wichtigsten Platte des Jahres. Da ist es egal, was noch kommt bis Dezember. Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel zu schweigen.
Und sie schweigen voller Ehrfurcht. Elf Songs lang. Selbst danach wagen sie es lange nicht, die Stimme zu erheben. Bei U2 normale Maßstäbe anzusetzen, funktioniert nicht. Genauso gut könnte man den Papst mit einem Kommunionkind vergleichen. Oder den US-Präsidenten mit dem Vorsitzenden des örtlichen Schützenvereins.
U2 sind eine Band, die seit ihrer Gründung 1976 unzählige Leben prägten. Wer mit U2 aufwuchs, wer sich von "Boy" (1980) an durch ihre Alben hörte, der ist geprägt für immer. Weil er bis ans Ende seiner Tage süchtig nach Melodien ist. Diese Band bekommt man nicht aus dem Kopf. Auch für "No Line On The Horizon" gilt: Einmal gehört - und es ist alles wieder da. Jene Mischung aus Erhabenheit, Souveränität, Wucht und Eleganz, die im Musikzirkus spätestens seit "The Joshua Tree" (1987) ihresgleichen sucht, weil keine andere Band sie je so konsequent verkörperte wie das irische Quartett.
Das von den drei Schwergewichten Brian Eno, Danny Lanois und Steve Lillywhite (Coldplay, Rolling Stones, Bob Dylan, Depeche Mode) produzierte Album ist ein Kaleidoskop sämtlicher Stärken U2s, ein Spiegel ihres bisherigen Schaffens. "No Line On The Horizon" vereint die Hymnen der Jahre zwischen "War" (1983) und "Rattle And Hum" (1988) mit jener Lust am Experimentieren, die U2 dereinst das unfassbare "Achtung Baby" (1991) oder die aberwitzigen "Zooropa" (1993) sowie "Pop" (1997) aufnehmen ließen.
Zudem klingen U2 mutiger und frischer als auf den beiden ersten Platten des neuen Jahrtausends "All That You Can Leave Behind" (2000) und "How To Dismantle An Atomic Bomb" (2004), die doch schon toll waren und zusammen über 21 Millionen Mal über den Ladentisch gingen. "No Line On The Horizon" ist ein in die Knie zwingender, bis zuletzt streng gehüteter (und unter großem Bohei dann doch im Internet aufgetauchter) Monolith aus modernem Rock, Pop, Folk und sogar Hiphop, der so überwältigend homogen ist, dass kein Moment als Höhepunkt herauszupicken wäre.
Lediglich einen textlichen Mittelpunkt gibt es. Es ist eine Zeile aus dem Song "Breathe", welche die vielfältigen Gefühle, die dieses Album mit Pathos und Eindringlichkeit hinausschreit, zusammenfasst: "Walk Out Into The Street. Sing Your Heart Out", singt Bono. Es ist eine Metapher, ein Bild für die Musik der Band, die gemalt oder gefilmt so aussehen würde: Bono mit seiner getriebenen, vor Leidenschaft rasenden Stimme geht voran. Hinter ihm folgen Bassist Adam Clayton, Schlagzeuger Larry Mullen - und natürlich The Edge, der diese einzigartigen Sirenen- und Glocken-Gitarren ins weite Land jagt.
Und während die Vier langsam und wie in Zeitlupe eine Straße in die Unendlichkeit entlang schreiten, geht hinter ihnen die Welt in Flammen auf. U2 brennen. Sie brennen immer noch. Sie gaben der Welt die Hymnen der 80er. Sie waren eine der ersten ganz großen Bands, die sich politisch äußerten ("Sunday, Bloody Sunday", "In God’s Country"). Sie erfanden sich in den 90er Jahre mit sperrigen Songs und übertrieben gigantischen Shows komplett neu und retteten sich dadurch nach eigener Aussage vor dem Ende.
Sie verknüpfen auf "No Line On The Horizon" alles, was ihre Musik je ausmachte mit den Eindrücken jener Orte, an denen das Album entstand (Marokko, Dublin, New York, Südfrankreich). Die Rückseite des Albumcovers ziert eine Schwarz-Weiß-Fotografie Anton Corbijns: Bono, The Edge, Clayton und Mullen stehen am Strand und wirken selbst für den unendlich weiten Himmel dahinter zu groß, zu unantastbar, zu cool. Und genau das ist "No Line On The Horizon": groß, unantastbar - und unendlich cool.