Geiger Gidon Kremer: Auf der Bühne daheim

Für den Geiger Gidon Kremer (65) ist die Musikindustrie zu sehr am Erfolg orientiert. Im Gespräch erzählt er, woran er glaubt.

Berlin. Gidon Kremer gilt als einer der weltbesten Violinisten und hat mit allen wichtigen Orchestern und Dirigenten gespielt. Heute wird er 65 Jahre alt.

Herr Kremer, andere Menschen gehen mit 65 in Ruhestand — und Sie?

Gidon Kremer: Ich wünsche mir oft mehr Zeit und Ruhe, aber das bleibt meist ein Traum. Ich fühle mich so vielen Projekten und jungen Menschen gegenüber verpflichtet. Ich möchte die Dinge weitergeben, die mir wichtig sind. Deshalb sehe ich die 65 als eine Zwischenstation, die ich sehr gern mit meinem Orchester feiere.

Gibt es denn etwas, das Sie künstlerisch noch nicht geschafft haben?

Kremer: Ich habe so viel gemacht — ich glaube nicht, dass ich jemandem etwas schuldig bin. Aber ich war immer so interessiert an allem, was rundherum passiert. Deswegen gibt es nicht den Punkt, an dem ich sage, ich habe genug. Ich bin weiter offen für alle unerwarteten Dinge.

Was wollen Sie jungen Leuten vermitteln?

Kremer: Das Wichtigste war mir immer, vor allem an die Musik zu denken und nicht an mich selbst. Nicht Selbstpromotion zu betreiben, sondern im Dienste derer zu stehen, die diese Musik kreieren — Komponisten. Die Jugend wird heute verführt zu glauben, dass Erfolg das Wichtigste ist. In Wirklichkeit ist es anders: dass man seiner Sache und der Musik treu bleibt und nicht auf den Erfolg schielt.

Kann Crossover ein Weg sein, mehr Menschen für klassische Musik zu gewinnen?

Kremer: Nein, im Gegenteil. Crossover ist ein Spielzeug der Industrie, um das Billige besser zu verkaufen. Vielleicht kann man damit Leute reizen, aber man kann sie nicht auf das Wichtige aufmerksam machen. Die Crossover-Tendenz trägt eher dazu bei, die Leute zu unterhalten. Und so schön Unterhaltung manchmal ist — sie ist nicht der Sinn des Lebens.

Sie sprechen fließend Deutsch, sind aber in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen — als was fühlen Sie sich?

Kremer: Ich empfinde mich als Menschen, der seine Wurzeln überall hat. Mein Heimatland Lettland bedeutet mir viel. Trotzdem habe ich auch deutsche Wurzeln, weil meine Mutter Deutsche war. Dann habe ich 15 Jahre in Moskau gelebt, und seither bin ich in der ganzen Welt auf Reisen. Wahrscheinlich ist mein einziges Zuhause auf der Bühne. Es ist mir wichtig, mit den Tönen auf Du und Du zu sein — und das kann man ja in der ganzen Welt.