Haftbefehl: Shootingstar der Straßenrap-Szene
Frankfurt/Main (dpa) - Der Straßenrap ist tot? Von wegen! Deutschlands Shootingstar heißt Haftbefehl. Jan Delay sagt über ihn: „Er ist für mich der erste Rapper mit Straßenhintergrund, der gute Reime macht und vor allem Humor hat.“ „Haft“ wohnt noch bei seiner Mutter.
Sein Name klingt bereits nach einem schwer üblen Zeitgenossen: Haftbefehl. Und wenn der Shootingstar der deutschen Straßenrap-Szene mit seiner Glatze und seinen 1,96 Metern so daher kommt, ja, da kann man sich schon ein bisschen fürchten! Auf den zweiten Blick scheint der 25-jährige Offenbacher mit kurdischen Wurzeln ein harmlos-lieber Kerl, dem im dpa-Interview zig Lächeln übers Gesicht huschen und der seiner Mutter zuliebe noch daheim im südhessischen Babenhausen wohnt („I hate Babenhausen.“). Zuletzt outete sich sogar der große Jan Delay als Haftbefehl-Fan. Gerade ist „Haft“ oder „Hafti“, wie ihn Fans und Freunde nennen, mit seinem Debütalbum „Azzlack Stereotyp“ auf Deutschland-Tour gegangen.
Ein Exkurs zu Künstlername und Lebenslauf: Aykut Anhan - so heißt er bürgerlich - verlor mit 14 seinen Vater, brach mit 15 die Schule ab. Als er irgendwann wegen Körperverletzung per Haftbefehl gesucht wurde („Ich war jung und wild“), setzte er sich für ein Jahr ins Ausland ab, erst in die Niederlande, dann in die Türkei. Damals entdeckte er die Musik und rappt heute über Gewalt auf den Straßen ebenso wie über Integration: „Ich beleidige die Kanzlerin und kriege damit Gehör. Ich hab' dafür 400 000 Klicks im Netz bekommen.“ Aber: „Ich sieze die Frau Merkel auch in den Songs. Da ist auf jeden Fall Humor dabei.“
Zum Auftakt seiner „Auf der Flucht“-Tour 2011 ist die Frankfurter Konzerthalle Batschkapp ausverkauft. Die 700 Fans mögen ihren „Haft“: Montana (20) aus Offenbach mit gefälschter weiß-bunter Louis-Vuitton-Kappe auf dem Kopf findet: „Er erzählt, wie's auf den Straßen läuft. Wir haben unsere eigenen Regeln: "Friss oder stirb."“ Sein Kumpel grölt von der Seite: „Ein Gangster ist keiner, der einen Supermarkt überfällt. Ein Gangster wird reich, ohne sich erwischen zu lassen.“ Uwe (28) - im schwarzen Haftbefehl-Tour-Shirt mit Handschellen-Motiv - sagt: „Das ist die Realität.“ „Die Texte passen zu unserer Generation“, erklärt Yasemin. Ihre Freundin Alev meint: „Er hat eine gute Betonung.“
Ehe er auftritt, tummeln sich erstmal ewig 20 andere Jungs auf der Bühne: ebenfalls rappende Freunde, Freundesfreunde, Clan-Mitglieder, der jüngere Bruder. Haftbefehls Auftritt an sich ist dann 50 intensive Minuten kurz. „Ich geb' Euch heut' die brutalste Show ever“, sagt er im schwarz-weißen, weiten Holzfällerhemd.
Die Horde an Leuten ist weiter mit auf der Bühne. Die Musik - auch die Pump-Gun-Geräusche - kommt komplett von einem DJ in der Mitte, der an zwei Computern sitzt. Und Haftbefehl singt: „Wenn die Straße spricht, dann ist das Frankfurt am Main“, oder „Die Knarre, sie glänzt, mein Messer, es glänzt, frisch aus'm Berber, die Fresse, sie glänzt“. Zwischendurch peitscht und wedelt er mit seinem blauen Handtuch. Und er stemmt synchron mit dem Publikum, das in seinen Bomberjacken schwitzt, groovend die Hände in die Höhe.
Ist Straßenrap nicht tot? „Nee, der fängt jetzt erst richtig an“, sagt „Haft“. „Ich werde gucken, dass Frankfurt das Zepter übernimmt in Deutschland.“ Wer seine Vorbilder seien? Überraschenderweise sogar Herbert Grönemeyer („Der hat auch viel durchgemacht mit dem Tod seiner Frau“) und Xavier Naidoo. Er schätzt Michael Jackson und hört gar Tina Turner. Wieso auch nicht? Etwas eitel ist der Mann mit den gezupften Augenbrauen auch. „Ich hab' Creme zu Hause, die kostet 100 Euro. Das haben nicht mal Frauen.“