Herbert Grönemeyer: „Ich mache alle kirre“
Berlin (dpa) - Ein kühler Herbstabend in Berlin, ein Luxushotel am Gendarmenmarkt. Herbert Grönemeyer wirkt müde, er hat viel gearbeitet in den vergangenen Monaten, sein vierzehntes Studioalbum „Dauernd jetzt“ wird veröffentlicht.
„Man ist ein bisschen hilflos, das Album ist fertig und man hat keinen Einfluss mehr darauf“, erklärt er. Hilflos wirkt Grönemeyer in den folgenden 60 Minuten allerdings gar nicht. Entspannt spricht er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur über die Schönheit des Lebens, Tücken beim Texten und seinen Traum vom Freistoß in der letzten Minute.
Frage: Ihr neues Album klingt aufgeräumt und optimistisch und die erste Single „Morgen“ durchaus verliebt. Wie autobiografisch sind eigentlich Ihre Texte?
Antwort: Sie wollen wissen, ob ich eine neue Freundin habe (lacht)? Ich bin seit zweieinhalb Jahren in einer sehr glücklichen Beziehung und ich denke, das merkt man der Platte auch an. Ich würde sagen, autobiografisch ist das Gefühl, diese Euphorie, das ist neben den Texten eine zweite Ebene und die findet sich natürlich nicht bei jedem Lied.
Frage: Wie und wo beginnt ein neues Album? Mit einer bestimmten Idee?
Antwort: Ich gehe nicht mit einem Konzept an eine Platte, das entsteht aus dem Chaos. Ich klimpere zu Hause täglich vor mich hin. Habe ich fünf, sechs passende Stücke zusammen, kommt der Punkt, wo ich denke, jetzt hast Du wieder Hunger, jetzt könntest Du wieder eine Platte machen.
Frage: Erst wenn die Musik fertig ist, schreiben Sie die Texte. Wie können wir uns diese Arbeit vorstellen?
Antwort: Ich versenke mich in Sprache, mache nichts anderes, sitze am Schreibtisch mit Zeitungen, Büchern, schichtweise Papier und lese. In diesem Wust laufe ich warm, schreibe Listen mit Wörtern und oft passiert wochenlang nichts, eine Katastrophe. Es ist der schiere Wahnsinn, ich wache auch nachts auf und ändere etwas. Manchmal brauche ich nur ein Wort, was mich weiterschießt wie die Zündung einer Rakete.
Frage: Wie ist diese Phase für Ihre Mitmenschen?
Antwort: Irre, furchtbar! Ich bin egomanisch, mache alle kirre, da möchte man nicht mit mir zusammen sein. Speziell bei „Dauernd jetzt“ habe ich teils mehrere Texte pro Song eingesungen und Freunden geschickt, sie zigmal das Gleiche gefragt.
Frage: Das Lied „Uniform“ ist eine Abrechnung mit der Internet-Gesellschaft. Wie schützen sie sich vor der - wie Sie selbst singen - „digitalen Diktatur“?
Antwort: Indem ich meine Kamera abgeklebt habe, privat nicht auf Facebook oder Instagram bin, meinen Ortungsdienst ausgeschaltet und keine Mailadresse bei Google habe. Ich bin nicht gegen das Internet, aber ich bin dagegen, dass man sich in dieser Internetsuppe auszieht. Das finde ich albern. Jeder macht sich selbst zum Star und schmeißt jedes seiner Details da rein. Ich stell mir dann vor, wie die bei den Internetriesen zusammensitzen und selbstherrlich denken, sie hätten die Welt unter Kontrolle.
Frage: Sie lesen also auch keine Fan-Reaktionen auf Ihrer Facebook-Seite?
Antwort: Ne, das mache ich nicht. Wenn ich ganz ehrlich bin, schaue ich im Internet nur nach Autos, da ich großer Oldtimer-Fan bin. Reaktionen lese ich selten. Das strengt mich zu sehr an. Ich merke das ja, wenn ich die Leute treffe oder Briefe bekomme.
Frage: Millionen Fans und verkaufte Platten, volle Stadien. Gibt's noch solche Wow-Momente, in denen Sie begreifen, was es bedeutet, Herbert Grönemeyer zu sein?
Antwort: Es ist jetzt nicht so, dass ich morgens aufstehe und sage: Boah! Es ist eher so, dass man sich wundert, man begreift nicht, wer man in den Augen anderer Menschen ist. Auf der letzen Tour stand ich zum Beispiel vor dem Konzert in Leipzig im Stadion und dachte: Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Oder ich bin ganz fassungslos, wenn mir Menschen erzählen, was meine Lieder für sie bedeuten.
Frage: Haben Sie sich als Kind ein bestimmtes Leben - vielleicht eines wie dieses - erträumt?
Antwort: Nein, ich habe immer versucht von Tag zu Tag zu leben. Das mache ich auch heute noch. Ich wollte auch nie Sänger werden. Ich dachte, vielleicht werde ich Fußballer oder Gebrauchtwagenhändler. Ich war nie ein Planer, ich habe immer geschaut: Hoffentlich habe ich einen schönen Tag, hoffentlich wird's lustig heute. Ich habe geträumt, dass ich vielleicht mal einen Freistoß verwandele in der letzten Minute, aber sonst habe ich mir für meine Zukunft nie viel vorgestellt.
Frage: Das passt zum Albumtitel „Dauernd jetzt“.
Antwort: Ja, es geht um das Gefühl, das Schönste herauszubekommen aus dem Moment. So wie wir jetzt hier zusammensitzen, dass ich nachher denke: Ach, war doch ein schönes Gespräch. Die Idee hinter dem Titel ist, dass man den Moment streckt und dadurch länger darin bleibt. Zuviel Planung nützt doch nichts.
Frage: Also in der Gegenwart leben, nicht zu sehr in der Zukunft oder in der Vergangenheit?
Antwort: Die Vergangenheit ist für mich ein Raum, in den man mal gehen kann. Man sollte aber immer die Tür auflassen und auch wieder rausgehen. Das Leben findet jetzt statt. Das ist die Schönheit des Lebens und das macht es auch aus. Genauso gemein ist es, wenn es Dir von jetzt auf gleich Mist beschert. Diese Sichtweise ist vielleicht eine Glücksache. Mein Vater war auch so, der hat einfach dagesessen und gesagt: Mann, ist das herrlich heute. Dabei war gar nichts los.
Frage: Kürzlich haben Sie eine Nebenrolle gespielt im Film „A Most Wanted Man“ Ihres Freundes Anton Corbijn. Hätten Sie Lust, mal wieder eine größere Rolle zu übernehmen?
Antwort: Ich würde gerne wieder spielen, klar, wenn ich ein gutes Buch hätte, mich jemand besetzen und gut ausleuchten würde. Das würde schon Spaß machen. Bei „A Most Wanted Man“ war ich sogar im Gespräch für die Rolle, die Philip Seymour Hoffman dann übernommen hat. Aber die Produzenten haben gesagt, mit Grönemeyer bekommen wir international für den Film nicht genug Geld, was ja auch richtig ist. Ich hätte das auch nicht so gut spielen können.
Frage: Kurz nach dem Dreh ist Oscarpreisträger Philip Seymour Hoffman gestorben. Wie haben Sie ihn erlebt?
Antwort: Ich hatte eine Szene mit ihm und er war bei uns im Studio, weil ich Musik für den Film geschrieben habe. Ich habe ihn natürlich nur sporadisch erlebt. Aber ein ungestümer, toller Mann. Er war unheimlich humorvoll und intensiv, gleichzeitig sehr versunken in dem, was er macht.
Frage: Nächstes Jahr folgt die Tour zum Album, wie erleben Sie das Publikum eigentlich von der Bühne aus. Unterscheidet es sich von Stadt zu Stadt?
Antwort: Jede Stadt ist ein anderes Mädchen, würde ich sagen. Jede Stadt hat eine eigene Qualität. Die Kölner feiern schon, da ist man noch gar nicht auf der Bühne. Die Hamburger kommen ganz ruhig, sind euphorisch und bleiben lange. Im Ruhrgebiet sind die Menschen eher abwartend, die schauen erst einmal, ob man noch der Alte ist. Es gibt kein Rezept für die Bühne, Du weißt vorher nicht, was passiert. Selbst zwischen Dortmund und Schalke gibt es einen Unterschied.
Frage: Die Tour bedeutet zwei intensive Monate. Wie trainieren Sie, wie machen Sie sich fit?
Antwort: Ausdauertraining, Fahrradfahren, Laufen - ich will ja nicht aussehen wie ein Mehlsack auf der Bühne. Aber man braucht gar nicht soviel Kondition, die Euphorie trägt einen. Wenn Du da oben stehst und die Leute freuen sich, da lernst Du fliegen.
ZUR PERSON: Herbert Grönemeyer, geboren 1956 in Göttingen und aufgewachsen im Ruhrgebiet, ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Musiker. In den vergangenen 30 Jahren landete jedes seiner deutschsprachigen Studioalben - wie zum Beispiel „Mensch“ - auf Platz eins der Charts. 1981 spielte er in Wolfgang Petersens „Das Boot“, bis heute steht er immer wieder als Schauspieler vor der Kamera. 1998 verlor er seine Frau und seinen Bruder, beide hatten Krebs. Der Künstler hat zwei erwachsene Kinder, er lebt in London und Berlin.