Ingrid Michaelson mit neuer CD: „Man kann auch leise feministisch sein“
Die New Yorkerin Ingrid Michaelson wagt auf ihrem neuen, sechsten Album kleine Experimente — und überrascht mit ihren bislang stärksten Liedern.
Düsseldorf. Was haben die Frauen in den vergangenen Jahrzehnten doch für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung gestritten. Ein wichtiger und schwerer Kampf, der auch heute noch nicht beendet ist. Für Ingrid Michaelson ist das Ansichtssache. Ehrlich und gerade heraus — also ganz, wie es ihre Art ist — erklärt sie, dass Feminismus für sie nie ein Problem war.
„,Feministisch’ ist ein Begriff, der eigentlich so viele Dinge meint“, sagte die 34-jährige New Yorkerin jüngst im Interview mit der „Washington Post“. „Wenn du dich selbst liebst, respektierst und stolz auf dich als Frau bist, dann bist du Feministin. Es ist ein fließender Übergang, egal, ob du es lautstark verkündest oder nicht. Ich denke, man kann auch leise feministisch und trotzdem stark sein.“
Wie das geht, lebt Michaelson vor — praktisch seitdem sie denken kann. Geboren auf Staten Island, New York, wuchs die Indie-Folk-Pop-Sängerin und -Songwriterin in einer Künstlerfamilie auf. Ihre Mutter (Bildhauerin) und ihr Vater (Komponist) erzogen sie als gleichberechtigtes Ehepaar. „Mein Vater war immer viel verspielter als meine Mutter. Deshalb hatte ich auch niemals gedacht, dass Frauen in irgendeiner Weise minderwertiger wären als Männer — bis ich auf die High School kam.“
Den Jungs dort zeigte sie, dass sie nicht so übermächtig waren, wie sie dachten: Sie riss etwa mehr Witze als diese. „Ich wurde sowas wie ein Clown und sagte: ,Ich bin auch witzig und laut, versucht mal, gegen mich anzukommen!’ Die kampfbereite Einstellung hatte ich schon immer.“
Auf künstlerischem Feld machte Michaelson ebenfalls Fortschritte. Ab einem Alter von vier Jahren bekam sie Klavier-, später auch Gesangsunterricht. Nebenher brachte sie sich Gitarre bei. Ihre wahre Leidenschaft galt aber zunächst dem Schauspiel. Sie absolvierte ein Theater-Studium und reiste als Regisseurin einer Kindertheatergruppe durch den Westen der USA. Bei den Proben spielte sie auf dem Klavier gern vor sich hin und merkte irgendwann, dass sie Lust hatte, eigene Songs zu schreiben.
Das Resultat stellte die Halbschwedin (die Eltern ihres Vaters waren Auswanderer) auf ihre Myspace-Seite. Ihr erstes Album „Slow The Rain“ (2005) veröffentlichte sie bei ihrem eigenen Label Cabin 24 Records. Mit der Veröffentlichung ihres zweiten Werks „Girls And Boys“ wurde 2006 eine Musiklizensierungsfirma auf sie aufmerksam und nahm den Song „Breakable“ in den Soundtrack der TV-Serie „Grey’s Anatomy“ mit auf. Die Nachfrage nach dem Lied war so groß, dass die Neuauflage bei einem Indie-Label im Jahr 2007 bis auf Platz 63 der US-Album-Charts stieg.
Den richtigen Durchbruch schaffte Michaelson damit zwar noch nicht. Doch sie pirschte sich heran — mit weiteren Lizensierungen für „Grey’s Anatomy“ wie den Liedern „Corner Of Your Heart“, „The Way I Am“ und „Keep Breathing“ sowie den Alben „Be OK“ (2008, Platz 35) und „Everybody“ (2009, Platz 18). Auf Letzterem befindet sich ein auch hierzulande bekanntes Stück, nämlich der gleichnamige Ohrwurm, der vergangenes Jahr in einer Fernsehwerbung häufig vor der „Tagesschau“ lief.
Mit „Human Again“ landete sie 2012 schließlich auf Platz fünf der US-Charts, und an diesen Erfolg möchte sie jetzt mit „Lights Out“ anknüpfen — allerdings ohne sich zu wiederholen. Hatte sie zuvor als Do-it-yourself-Künstlerin alle Songs selbst geschrieben, griffen ihr jetzt sechs Produzenten und zehn Co-Writer unter die Arme — unter anderen die Singer-Songwriter Katie Herzig, Mat Kearney und Trent Dabbs sowie der Hitmacher Busbee (Pink, Katy Perry, Lady Antebellum) und das Produzentenduo A Great Big World.
Eine gute Wahl, wie es scheint. Als das Album im April in den USA herauskam, erhielt es vornehmlich beste Kritiken — trotz stark poppiger Momente wie der Single „Girls Chase Boys“, die nur noch vom Gesang her an die „alte“ Michaelson erinnert. „Dieser Song soll den Leuten als Übergang zu meinem neuen Sound dienen. Ich respektiere natürlich, was sich die Leute wünschen, aber ich zeige ihnen auf dem Album eben auch, was alles in mir steckt.“