Grandiose Rock-Lehrstunde: Die Stones in Berlin
Berlin (dpa) - Ob Mick Jagger da wohl 49 Jahre zurück gedacht hat? „Wir sind zurück auf der Waldbühne - was für ein schöner Ort“, brüllt der Rolling-Stones-Frontmann auf Deutsch ins Mikro.
Ihr erstes Konzert hier, in den Aufbruchjahren der Rockmusik, musste 1965 wegen Aufruhr im Publikum abgebrochen werden.
Jetzt sind die Rolling Stones zurück - es geht gesitteter zu, aber nur auf den Zuschauerrängen.
Jagger und Gitarrist Keith Richards dagegen, mittlerweile beide 70 und faltig, fegen über die Bühne wie eh und je: Sie liefern zwei grandiose Lehrstunden in Sachen Rock-Konzert.
Sieben Jahre haben sie die deutschen Fans warten lassen. Und es dauerte ganze acht Minuten, bis 22 000 Tickets verkauft waren. „14 On Fire“ heißt die Tournee - und die Stones setzen die Waldbühne damit sprichwörtlich in Brand. Es wird so heiß, dass Frontmann Jagger sein schwarz-silbernes Glitzersakko schon beim zweiten Lied in die Ecke schmeißt. Das Seidenhemd fliegt gleich hinterher - und der drahtige 70-Jährige tobt im hautengen Shirt weiter.
An Energie scheint es den Rock-Opas jedenfalls nicht zu fehlen. Unermüdlich hin und her, wie ein Tiger im Käfig, fegt Jagger über die Waldbühne, keucht in die Blues-Harp. Die Botschaft ist schnell klar: „It's Only Rock 'n' Roll - but I like it!“
Niemand weiß, wie oft die Rolling Stones überhaupt noch auftreten werden. Da lassen sich auch deutsche Musik- und Showgrößen das Spektakel nicht entgehen: Tote-Hosen-Sänger Campino ist genauso im Publikum wie Marius Müller-Westernhagen oderder TV-Moderator Thomas Gottschalk. Der Schauspieler Ben Becker outet sich als Fan von „Sympathy for the Devil“ - den wünsche er sich für seine Beerdigung, sagt er.
Zum mehrminütigen Blues-Jam nach „Midnight Rambler“ holen die Stones ihren früheren Leadgitarristen Mick Taylor auf die Bühne. Es wird einer der Höhepunkte im zweistündigen Programm, in dem gar nicht jeder Stones-Hit Platz hat. Dafür sind es einfach zu viele. Doch etwa 60 Stücke soll das Quartett für die Tour eingeübt haben - fast 20 spielen sie auch. Da fehlen weder „You Got Me Rocking“ und „Honky Tonk Women“, noch „Jumping Jack Flash“ und „You Can't Always Get What You Want“.
Doch auf der Setliste stehen auch echte Raritäten: Für „You Got The Silver“ und „Can't Be Seen“ übernimmt Gitarrist Richards das Mikro. Letzteren Song haben selbst eingefleischte Fans nur selten live gehört - vor der aktuellen Tournee hatten die Stones ihn fast 15 Jahre nicht gespielt.
Kaum eine Band kann sich live so gut inszenieren: der Sound ausgefeilt, die Show reduziert auf ein paar Lichteffekte. Hier zählt die Musik. Und in der leben Jagger, Richards, Ron Wood und Charlie Watts so richtig auf. Sie spielen miteinander, rennen umeinander, verstehen sich nach so vielen gemeinsamen Bühnen-Jahren blind.
„I Can't Get No Satisfaction“, singt Jagger zum Abschluss - doch nach diesem Programm dürften nur die wenigsten unzufrieden gehen.