Juanes: Die männliche Shakira

Kaum hat er die Tour zum Vorgängeralbum beendet, präsentiert der Latin-Popper schon das nächste: „La vida es un ratico“ ist persönlicher, aber nicht weniger politisch.

Funkelnde braune Augen, dunkler Teint, schwarze Haare, die er neuerdings modisch kurz trägt, und ein betont cooles Auftreten: Mehr Latin Lover geht nicht. Juan Esteban Aristizábal, genannt Juanes, ist zweifellos der heißeste Sänger, den Lateinamerika derzeit zu bieten hat.

Sein flotter Sommer-Ohrwurm "La Camisa Negra" machte den Kolumbianer vor zwei Jahren auch bei uns bekannt - praktisch über Nacht. Denn der Song aus dem dritten Album "Mi sangre" (2004) wurde zum meistgespielten lateinamerikanischen Titel in deutschen Radiosendern und zum Stimmungsgaranten auf jeder Party.

Seitdem ist Juanes für viele schlicht die männliche Shakira. Doch im Gegensatz zu seiner hüftschwingenden Landsfrau hat er für seinen internationalen Durchbruch nicht einen Song auf Englisch gesungen. "Ich denke spanisch, ich träume spanisch, fühle spanisch. Wenn ich auf Englisch singen würde, wäre ich nur einer von vielen", antwortet der Mittdreißiger meist auf den wiederkehrenden Vergleich.

Juanes war eben schon immer gegen den vermeintlichen Trend unterwegs. Ehe er 1999 nach Los Angeles zog und mit Fernan Martinez (Ex-Manager von Enrique Iglesias) seine Solo-Karriere startete, war er sieben Alben und elf Jahre lang Frontmann von Ekymosis, einer kolumbianischen Heavy-Metal-Band. Ein ungewöhnlicher Werdegang, denkt man an seine melodiengetragenen Balladen, die volkstümlichen Gitarrenstücke und tanzbetonten Latin-Nummern, die heute seinen Stil ausmachen.

Musikalisch hat die Hardrock-Zeit kaum Spuren hinterlassen. Allerhöchstens in seiner Vorliebe für handgemachte, manchmal sehr rockige Klänge, wie sie sich auf seinem neuen Album "La vida es un ratico" (zu deutsch: Das Leben ist ein kurzer Augenblick) finden. Der Titel soll im Gespräch mit seiner Mutter entstanden sein, nach dem Tod eines engen Familienmitglieds. Sie habe ihn daran erinnert, dass das Leben wie ein Wimpernschlag vorbeiziehe.

Deshalb mahnt Juanes eindringlich, sich dem zu widmen, was wirklich zählt im Leben: Für ihn sind dies Freiheit, Friede, Familie und Freunde. "La vida es un ratico" ist inhaltlich offener, direkter und beschäftigt sich intensiver mit seiner privaten Situation als die Vorgänger-Alben. "Me enamora" etwa ist als Liebeserklärung und Versöhnungsangebot an seine von ihm getrennt lebende Ehefrau Karen Martinez zu verstehen. Seine persönlichen Erfahrungen des vergangenen Jahres sind auch in andere Songs ("Tú y yo", "La mejor parte de mi") eingeflossen.

Aber Juanes wäre nicht er selbst, wenn den sozial und politisch engagierten Musiker, nicht wieder die Sorge um sein Heimatland umtreiben würde: Hinter seinen eingängigen Melodien stehen aufrüttelnde Texte, mit denen er auf Missstände aufmerksam macht und dadurch unmissverständlich Position bezieht - etwa gegen Landminen im Drogengeschäft.

Juanes ist ein Künstler, der wirklich an die Kraft der Musik zu glauben scheint. Sie ist sein Instrument, mit dem er die Realität reflektiert, die er selbst im krisengeschüttelten Kolumbien erlebte. 1972 in Medellin geboren, kennt er den Schmerz und die Hoffnungen eines Landes mit der höchsten Mordrate weltweit. Sein Cousin wurde entführt und hingerichtet, sein bester Freund in einem Nachtclub erschossen.

Seine poetischen Geschichten über die Sehnsucht nach Frieden, die Bedeutung von Liebe, familiärem Zusammenhalt und Respekt als Ausweg aus Korruption, Drogenhandel und Entführung, haben ihn zum Sprachrohr eines ganzen Landes werden lassen. In seiner Heimat ist Juanes ein Superstar, gibt Konzerte vor 150000 Fans. Allein sein zweites Album "Un Dia Normal" (2002) verkaufte sich zwölf Millionen Mal. Sein Engagement nimmt man ihm ab, setzt er seine Popularität doch für etliche Hilfsprojekte ein. Für diejenigen, die die Vergleiche nicht lassen können, ist Juanes deshalb längst die südamerikanische Antwort auf Künstler wie Bono (U2) oder Sting. Er mag ein Latin Lover sein - aber einer, der etwas zu sagen hat.

Kurzkritik Er experimentiert stark mit traditionellen Latin-Rhythmen wie der Guasca, der Cumbia oder dem Bolero (mit der elektrischen Gitarre interpretiert). So entsteht ein Mix aus Rocksounds und Folk, der weit entfernt ist vom handelsüblichen Latin-Pop. Die Single-Auskopplung "Me enamora” ist dabei die musikalische Seele des Albums, das auffallend viele überraschende Stil- und Tempowechsel beinhaltet. Gitarren-Spuren, Gesang und Keyboards hat Juanes in seinem Studio in den Bergen vor Medellin (Kolumbien) aufgenommen. Bass, Drums und Streicher wurden im Studio seines Produzenten Gustavo Santaolalla (zwei Oscars, mehrere Grammys) in L.A. dazu gemischt. Einen neuen Klang kommt dieses Mal durch den erstmaligen Einsatz eines Klaviers hinzu: - so in "La vida es un ratico" oder "Minas piedras".

Highlight Das Bonbon des Albums ist das Duett mit Campino (Andreas Frege), Frontmann der Düsseldorfer Punk-Band Die Toten Hosen. In einem Pariser Studio haben sie den Song "Bandera de manos" aufgezeichnet, in dem es um die Gleichheit von Menschen und Nationen und den Wunsch nach Frieden geht. Ein Thema, das beiden Musikern viel bedeutet.