Martin Kusej: Religiöse Abrechnung vor dem Fest
München (dpa) - Es war schon ein bisschen perfide, wie Martin Kusej zwei Tage vor Weihnachten abrechnete, mit Religion im Allgemeinen und Katholizismus im Besonderen.
Gelebten Glauben gibt es für den österreichischen Regisseur, der am Sonntagabend im Münchner Nationaltheater seine Deutung von Giuseppe Verdis „La forza del destino“ (Die Macht des Schicksals) präsentierte, offenbar nur noch im Mafiaclan. Glaube als Instrument der Machtausübung, der letztlich nur Fanatismus und Zerstörung gebiert, Menschen und Seelen zugrunde richtet.
Der Intendant des Münchner Residenztheaters, der hin und wieder auch an der benachbarten Staatsoper inszeniert, ist dafür bekannt, dass er sich mit Inbrunst an der Kirche abarbeitet. Doch ein Teil des Publikums war offenbar nicht gewillt, sich die weihnachtliche Vorfreude verderben zu lassen und deckte den Regisseur mit Buhrufen ein. Explosionsartiger Jubel brandete dagegen Anja Harteros und Jonas Kaufmann entgegen. In den Rollen der Donna Leonora und des Don Alvaro absolvierten beide an diesem Abend ein fulminantes Rollendebüt und stellten erneut ihren Ruf als Opern-Traumpaar unter Beweis.
Kusej übersetzte die Oper, eine mit kaum glaubhaften Zufällen gespickte Räuberpistole aus dem Spanien des 18. Jahrhunderts, beherzt ins Heute. Er sparte nicht mit starken Bildern wie einem rauchenden Ruinenstumpf, der unschwer an das beim Terroranschlag von 9/11 zerstörte New Yorker World Trade Center erinnerte, mit herumirrenden Menschen. Oder das irakische Foltergefängnis von Abu Ghraib. Symbole für all das, was religiöser Wahn und die Reaktionen darauf anrichten können.
Opfer der Exzesse im Namen Gottes und der Kirche sind Leonora und Alvaro. Die Tochter aus streng gläubigem Haus liebt einen blendend aussehenden Latin Lover, der mit Religiösem offenbar wenig am Hut hat. Ihr Vater, Chef eines Mafiaclans, will die Verbindung verhindern und wird im Streit mit Alvaro eher zufällig getötet. Daraufhin schwört Leonoras Bruder Carlo Rache an seiner Schwester und deren Liebhaber. Am Ende verwundet Alvaro seinen Widersacher im Duell, doch der tödlich Verletzte findet noch die Kraft, seiner „ehrlosen“ Schwester einen Dolch ins Herz zu stoßen.
Bei aller Dramatik sparte Kusej nicht mit Ironie. Das Kloster, in dem Leonora und später auch Alvaro Zuflucht vor dem rasenden Don Carlo suchen, ist ein nüchterner Pfarrsaal der 1970er Jahre mit obligatorischer Faltwand. Hinter der verbirgt sich aber kein Buffet mit selbst gebackenem Kuchen fürs Pfarrfest, sondern der Versammlungsort einer christlichen Sekte, die Leonora erst einmal einer Ganzkörpertaufe nach Art der Zeugen Jehovas unterzieht.
Am eindrücklichsten gelingt Kusej die letzte Szene. Um zueinander zu kommen, kriechen und klettern Leonora, Alvaro und Carlo durch einen Verhau riesiger weißer Kruzifixe, die wie Panzersperren ineinander verkeilt sind. Als schließlich Leonora und ihr Bruder ihr Leben aushauchen, tritt Pater Guardiano hinzu. Seine Mahnung zu Demut im Angesicht angeblich von Gott auferlegter Prüfungen wirkt auf den seiner Geliebten beraubten Alvaro wie Hohn.
Trotz sängerischer Höchstleistungen auch von dem Russen Vitalij Kowaljow als Marchese di Calatrava/Pater Guardiano und dem Franzosen Ludovic Tézier als Don Carlo di Vargas hatte der Abend seine Längen. Das lag nicht zuletzt an dem wenig inspirierten Dirigat von Asher Fisch, der auf allzu dröhnenden Breitwandsound setzte. Über jeden Zweifel erhaben war Anja Harteros, der von Liebesfuror bis schmachtendem Gebet und verklärtem Sterbegesang alle stimmlichen und darstellerischen Mittel zu Gebote standen. Auch Jonas Kaufmann zeigte sich in Topform. Sein gaumiges Timbre muss man mögen.