Ohne Wagner geht in Bayreuth fast nichts
Bayreuth (dpa) - Ohne Richard Wagner geht in Bayreuth derzeit fast nichts. Klar, es ist Festspielzeit. Viele Einzelhändler haben ihre Schaufenster mit dem Konterfei des Meisters geschmückt.
Ob der meist grimmig dreinblickende Komponist tatsächlich verkaufsfördernd wirkt, sei dahingestellt. Aber Wagner ist Bayreuths mit Abstand wichtigstes Aushängeschild. Hätte der Komponist sich nicht einst hier niedergelassen, um seine Festspielidee zu verwirklichen, wäre Bayreuth heute irgendeine bayerische Provinzstadt.
So ist man zumindest im Sommer für einige Wochen Weltstadt, weil das Klassik-Publikum aus aller Welt hierherpilgert und internationale Medienvertreter vor Ort berichten. Am Festspielhaus mischt sich der Duft der gegrillten Pausenbratwurst mit teurem Parfüm, mischen sich Trachtenträgerinnen und Frauen in Designer-Abendkleider im Publikum. Fränkische Bodenständigkeit trifft die große weite Welt. Zumal man die heimische Bratwurst auch in der Variation „Hummer“ haben kann. Und im Rasen stehen die putzigen, ein Meter großen Plastik-Wagners des Künstlers Ottmar Hörl. Wobei - einige sind auch schon geklaut worden, obwohl Hörl eigens einen Sicherheitsdienst engagiert hat.
Aber auch außerhalb der Festspielzeit geht in Bayreuth wenig ohne Wagner. Das vor einigen Jahren eröffnete Thermalbald? Heißt natürlich Lohengrin-Therme, in Anlehnung an den Schwanenritter aus Wagners Oper „Lohengrin“. Eine Käsesorte aus der heimischen Molkerei? Heißt natürlich „Maingold“, in Anlehnung an „Das Rheingold“. Bis vor wenigen Jahren wurde auch noch ein Käse namens „Cosima“, benannt nach Wagners Frau, angeboten.
Bayreuth, so sagt Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe, ist die Wagner-Stadt schlechthin. Alle Hotels sind ausgebucht, wenn am Grünen Hügel Wagners Opern gegeben werden. „Die Restaurants haben abends länger geöffnet, die größeren Hotels haben Shuttles zum Festspielhaus eingerichtet“, sagt Frank Nicklas, Marketingchef der Tourismus-GmbH. Einen „Walk of Wagner“ zu den Lebensstationen des Meisters habe man installiert, es gebe spezielle Stadtführungen, auch der Souvenir-Verkauf laufe gut.
Nur: Abseits des Grünen Hügels ist ein Festspielbesuch in Bayreuth in diesem Jahr auf den ersten Blick wenig erquicklich. Und dabei wird in diesem Jahr der 200. Geburtstag des Komponisten gefeiert. Richard Wagners Wohnstätte Haus Wahnfried? Eine große Baustelle, nur ein paar Räume sind geöffnet, in der einige Ausschnitte der einstigen Landesausstellung über König Ludwig II. zu sehen sind. Das erst im vorigen Jahr zum Unesco-Weltkulturerbe ernannte Markgräfliche Opernhaus, das Wagner schließlich einst überhaupt in die Stadt lockte? Eine große Baustelle, nur vom Foyer aus ist ein Blick auf die Restaurierungsarbeiten im barocken Innenraum gestattet.
Natürlich seien viele Gäste erst einmal enttäuscht, räumt Nicklas ein. Aber wenn man die Sachlage erkläre, „gibt es meistens Verständnis“. Dass es bei öffentlichen Bauvorhaben Verzögerungen gebe, komme ja auch andernorts vor.
Und für die Wagner-Fans gibt es ja ein breites Alternativprogramm neben „Tannhäuser“ oder „Der Ring des Nibelungen“, was den Terminkalender recht schnell füllt: Heute lieber zum Einführungsvortrag zu „Die Walküre“ oder zum Termin des Hessischen Rundfunks? Da stellt der Schauspieler Ulrich Noethen die bekannte Wagner-Biografie von Martin Gregor-Dellins als Hörbuch vor. Zu Wagner sagen mag er nichts, lieber die Biografie sprechen lassen.
In der Markgrafen-Buchhandlung veranstaltet der Chef Rolf J. Geilenkirchen täglich Signierstunden, Lesungen oder Buchvorstellungen. Ob Annette Dasch oder Klaus Florian Vogt - wer oben am Grünen Hügel singt, kommt dann meistens auch in die Innenstadt, um die Wagnerianer in der gediegenen Atmosphäre des Buchladens zu treffen. Einen Bestseller in der Wagner-Literatur hat Geilenkirchen derzeit nicht ausgemacht. Im Jubiläumsjahr gebe es „gefühlte 1000 Neuerscheinungen“: „Das geht querbeet.“ Die Markgrafen-Buchhandlung betreibt oben am Grünen Hügel auch einen Kiosk, wo das gelbe Reclam-Bändchen mit dem Libretto genauso feilgeboten wird wie die Ansichtskarte mit dem Konterfei des Bayernkönigs Ludwig II..
Der war ja schließlich Wagners Mäzen und half mit, das Festspielhaus zu finanzieren. An der Fassade der „Scheune“, wie die Bayreuther den Bau mehr oder weniger liebevoll nennen, bröckelt mittlerweile der Putz. Deshalb ist ein Gerüst davor aufgebaut. Und um dieses zu kaschieren, ist es mit Foto-Planen behängt. So hat man zumindest aus der Ferne den Eindruck, da stehe gar kein Gerüst, sondern die Fassade sei blitzblank und intakt. Aber das ist dann eben doch nur eine schöne Illusion in diesem Bayreuther Festspielsommer.