In der Heilanstalt Publikum feiert „Die Frau ohne Schatten“ in Berlin
Berlin (dpa) - Ein Krankenbett im Schein von OP-Leuchten, ein Arzt im weißen Kittel und eine Patientin im Wahn - gleich die erste Szene von Richard Strauss' „Frau ohne Schatten“ an der Berliner Staatsoper setzt den Ton für den Abend.
Mehr als drei Stunden lang kämpft hier eine Frau mit ihren Phantasmen, wird zerrieben zwischen ehelichem Pflichtgefühl und väterlicher Eifersucht.
Dass sich Regisseur Claus Guth für seine Inszenierung der 1919 in Wien uraufgeführten Oper für eine psychoanalytische Deutung entscheidet, liegt auf der Hand. Nervosität und Neurasthenie, die Komplexe und der Trieb - die Psychoanalyse lotete damals gerade die neuen Tiefen der Seelenlandschaft aus und deutete sich als die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts an. Wie Seismographen entdeckten noch während des Ersten Weltkriegs Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal diesen Stoff, der auf eine wahre Krankengeschichte zurückgeht.
Das Märchen um die behütete Tochter des Geisterfürsten Keikobad, die sich auf die Erde unter die Menschen begibt, um ihren Schatten zu finden - und damit die Fruchtbarkeit zu erlangen - ist vor allem eine Seelenschau. Angefeuert von ihrer Amme, die die Menschen hasst, soll die Kaiserin der unzufriedenen und kinderlosen Färberin den Schatten abkaufen. Sonst droht dem Kaiser der furchtbare Fluch von Schwiegervater Keikobad: Er muss versteinern.
Hofmannsthal bedient sich ausgiebig aus Sigmund Freuds Werkzeugkasten: Falken und Gazellen bevölkern das Bild, triebhafte Wesen, die als Traumgestalten über die Bühne wandeln. Zwang und Lust wechseln sich ab. Und das alles zur opulenten, spätromantischen Musik von Richard Strauss, der sein Werk angesichts des komplexen Stoffes nachträglich ein „Sorgenkind“ nannte. Obwohl er die Oper 1915 zu Ende komponierte, feilte er danach noch lange an der Partitur.
Ganz so neu ist die Berliner Neuproduktion allerdings nicht. Sie wurde bereits an der Mailänder Scala und dem Covent Garden in London gezeigt. In Berlin steht sie nun mit Zubin Mehta am Dirigentenpult im Mittelpunkt der von Daniel Barenboim 1996 gegründeten Festtage der Staatsoper.
Mehta gilt als intimer Kenner der Strauss-Musik. Tatsächlich gewährt er dem Klang der Staatskapelle Berlin viel Raum, manchmal zu viel, was vor allem die Kraft der Sänger auf die Probe stellt, die sich mit ihren Stimmen über den Orchestergraben hinweg behaupten müssen. Das Orchester zeigt ausgiebig, was es kann, vor allem mit den betörenden Cello- und Violinsoli und dem glasklaren Sound der Blechbläser.
Für das fabelhafte Ensemble auf der Bühne ist die Lautstärke in dem relativ kleinen Schiller Theater kein Problem, vor allem nicht für das starke Frauentrio, mit Camilla Nylund als Kaiserin, der stimmgewaltigen Iréne Theorin als Frau des Färbers Barak und Michaela Schuster in der Rolle der durchtriebenen Amme. Wolfgang Koch gibt der Figur des Färbers Barak eine menschliche, ja erschütternde Tiefe. Burkhard Fritz bleibt der getriebene Kaiser, der am Ende auf dem Sockel steht.
Nach dem letzten Vorhang brechen die Ovationen aus. Auch für Regisseur Guth mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Christian Schmidt gibt es viel Applaus. Vereinzelt ertönen die obligatorischen Buhrufe. Da wollten einige diesen Ausflug in die Heilanstalt dann wohl doch nicht mitmachen.