Rapper Casper im WZ-Interview: „Ein Gefühl herrlicher Ruhe“
Sein Album „XOXO“ schoss von Null auf Eins in den deutschen Charts. Vielleicht liegt es ja daran, dass der Bielefelder Rapper Casper etwas zu erzählen hat. Ein Gespräch.
WZ: Casper, Ihre Musik wird oft als „Emo-Rap“ bezeichnet. Empfinden Sie das positiv oder negativ?
Casper: Dieser Begriff hat eine regelrechte Evolution durchlaufen: Am Anfang war die Auslegung negativ. Einige in der Hip-Hop-Szene konnten nichts damit anfangen, dass da plötzlich einer über Gefühle rappt. Ich persönlich fand die Bezeichnung auch überhaupt nicht zutreffend.Schließlich bin ich kein besonders trauriger oder emotionaler Mensch. Irgendwann habe ich mir dann aber gedacht: Wenn die sich schon eine Schublade für mich ausdenken, dann muss ich irgendwas richtig gemacht haben.
WZ: In der Szene hatten Sie es nicht leicht: Als „Studentenrapper“, „Emo-Schwuchtel“ oder „weichster Mann der Welt“ wurden Sie beschimpft. Woher kam dieser Hass?
Casper: Hass ist als Begriff wahrscheinlich zu krass. Es war eher ein großes, spaltendes Stirnrunzeln, verbunden mit der Frage: Was hat der bei uns verloren? Diese teilweise Ablehnung stellt aber nicht das Zentrum meines Schaffens dar. Es ist ja nicht so, dass ich jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe, denke, dass das jetzt ein eiserner Gang nach Canossa wird und gleich wieder faules Obst fliegt.
WZ: Ihr Album ging von Null auf Platz eins, ein Erfolg, der in dieser Dimension alle überrascht hat. Was geht einem da durch den Kopf?
Casper: Das Witzige ist, dass andere Menschen darüber momentan sehr viel mehr nachdenken als meine Crew und ich. Wir sind weiter auf Tour, sitzen abends zusammen, sprechen dann aber nicht darüber, dass wir auf Eins sind. Wenn ich jetzt eine Woche Urlaub hätte, dann würde ich das vielleicht besser realisieren.
WZ: Ist der Rummel um die eigene Person nicht größer geworden?
Casper: Doch, aber ich sehe eher den Erfolg. Meine Karriere war bis hierhin ein unglaubliches Voranstolpern über unzählige Hürden. Gemessen daran ist das Einzige, was ich momentan spüre, ein Gefühl herrlicher Ruhe.
WZ: Der Albumtitel „XOXO“ bedeutet Hugs and Kisses, frei übersetzt: Gruß und Kuss. Vor allem in der Chatsprache wird die Abkürzung häufig als Verabschiedung verwendet. Diese oberflächliche Floskel will so gar nicht zu Ihren düsteren, melancholischen und teilweise wütenden Texten passen.
Casper: Die Kernaussage des Albumtitels ist „Abschied“. Bei mir war einfach sehr viel passiert: Mein Umzug von Bielefeld nach Berlin, der Selbstmord eines Freundes, das Ende einer Beziehung. Es herrschte Aufbruchstimmung, als ich die Texte schrieb. Für mich hatte „XOXO“ auch gar keinen Bezug zum Internet. Ich habe das in einem Dankesbrief in einem CD-Booklet entdeckt. Ich dachte: Wow, was ist das denn? Es wirkt mystisch und stilvoll und sieht auch noch schön aus.
WZ: In den vergangenen zehn Jahren haben deutsche Rapper vor allem über sich und den Hip-Hop gerappt. Ist diese Art der Selbstbezogenheit Vergangenheit?
Casper: Ich glaube schon, dass es einige verpasst haben, sich mit dem Publikum weiterzuentwickeln. Die gehen langsam auf die 40 zu und rappen immer noch davon, wie sie rappen. Ich habe das mit 16, 17 gemacht. Heute wäre mir das zu langweilig. Jay-Z oder Kanye West fingen auch als Poser-Rapper an. Heute machen die großartige Songs mit echten Geschichten. Das soll aber nicht heißen, dass es nicht auch großartige deutsche Hip-Hopper gibt, die eher selbstreferenzielles Zeug machen. Haftbefehl wäre da ein gutes Beispiel.
WZ: Ihre musikalischen Einflüsse sind vielfältig: Punk und Postrock gehören dazu, Hardcore haben Sie einige Zeit sogar selbst gemacht. Mit Teilen der Hip-Hop-Szene können Sie nichts anfangen. Warum haben Sie dann Rap als künstlerische Ausdrucksform gewählt?
Casper: Das geht auf meine Kindheit zurück: Ich bin in den USA aufgewachsen. Meine Mutter war damals mit einem Afroamerikaner zusammen, der seine Hip-Hop-Platten mit uns rauf und runter gehört hat. Als wir zurück in Extertal waren, wollte ich immer Teil einer Band sein, am besten was mit Gitarre oder Schlagzeug. Meine Mutter wollte mir diese Instrumente aber nicht kaufen, weil sie es für eine fixe Idee von mir hielt. So kam ich zum Rap. Das kostet nichts. Man musste sich nur einen Beat holen, das waren früher die Instrumentalversionen auf den B-Seiten von Absolute Beginner oder Massive Töne, und dann hat man darauf gerappt. Man könnte sagen, meine Hip-Hop-Karriere entstand aus Mangel an Geld und Instrumenten.
WZ: Sie haben einige persönliche Erlebnisse in Ihre Songs einfließen lassen, das Album entstand in einer Phase der Neuorientierung. Klingt nach Aufarbeitung.
Casper: Es gibt in Interviews mit Musikern immer wieder schreckliche Phrasen. Eine ist: Musik und Texte sind mein Ventil. Wenn ich das lesen muss, frage ich mich immer: Was? Ventil? Also für mich ist Musik weder Ventil noch Seelenstriptease oder Selbstverarbeitung. Wenn ich jetzt vier Jahre nicht rappen würde, wäre ich immer noch ein normal funktionierender Mensch.
WZ: Was ist Musik dann für Sie?
Casper: Ich verstehe Musik als Dialog. Ich erzähle mit meinen Texten Geschichten, als würde ich mit einem Kumpel in der Kneipe sitzen und ihm aus meinem Leben berichten. Bei mir wird dann einfach nur ein Rap daraus.