Die musikalischen Höhepunkte des Jahres
In der Musikszene gab es 2017 viel Bewegung. Auch konnte die Stadt sich über Auftritte großer Namen freuen. Vor allen Dingen aber spielten viele Düsseldorfer Bands zu Hause.
Im Resümee darf man sich nicht beklagen: Ein solches Jahr, in dem sämtliche Aushängeschilder der musikalischen Hauptstadt Deutschlands ihre lokalpatriotische Pflicht auf dem Platz erfüllt haben, wird man so schnell nicht mehr erleben. Sogar Kraftwerk trugen beim Freiluftkonzert im Ehrenhof ihren historischen Teil dazu bei. Auch das komplette Nr. 1-Dreigestirn des heimischen Labels JKP — Antilopen Gang, Broilers, Die Toten Hosen — ließ sich mit je zwei Heimspielen nicht lumpen.
Und es ist keine „Laune der Natur“, dass das Trio in der laufenden Saison erneut sämtliche Zuschauerrekorde brach. Die Broilers ließen dabei den Community-Gedanken ihrer guten Onkels Campino & Co. aufleben, indem sie alte, nicht ganz so erfolgreiche Weggefährten wie 4 Promille, Massendefekt oder Cashbar Club auf die große Bühne des Rather Domes holten. Es war ein äußerst erfolgreiches Jahr für die heimische Musikszene. Auch wenn die Metalcore-Artisten von Calléjon mit ihrem Album „Fandingo“ diesmal die Top-10 knapp verpasst haben. Sie stellten ihr Album im kleinen Altstadtclub Tube vor. Beim kommenden „Rock am Ring“ sind sie aber als einzig nennenswerte Band unserer Stadt dabei.
Auch im kreativen Underground rumort es weiterhin kräftig. Verlässliche Qualität liefern seit 21 Jahren die CityBeats-Gewinner (2017: Fabian Haupt). Einige von ihnen (Creeps, The Buggs, Ivory Clay) sind neben Bands, die nicht nur über originelle Namen, sondern auch eigene Sounds verfügen (Josef Boys, John Wayne On Acid, Love Machine) auf der New Heimat Sound-CD „Düsseldorf 2017“ versammelt. Den Eröffnungssong liefert Tice, Düsseldorfs First Lady of Deutschrap, nur echt mit Asi-Dutt und komplett tätowiertem linken Arm. „Baklava“ heißt ihr wunderbar soulig-süßes 90er-Jahre-Hip-Hop-Gebäck. Jeder ist sofort ergriffen von der dunklen Stimme und dem Charisma, die die zierliche, zerbrechlich erscheinende Powerfrau verbreitet.
Von ganz anderem Kaliber sind die ebenfalls in der Landeshauptstadt verorteten Gangsta-Rapper Kollegah & Farid Bang. Im dritten Teil ihrer „Jung, Brutal und Gutaussehend“-Reihe bringen sie zwar viel mehr Muskelmasse in den Ring, leider bleiben Text und Musik vom Ideen-Doping verschont. Trotzdem sorgten die Mucki-Boys für den vierten düsseldörflichen Nr. 1-Erfolg in den Album-Charts.
International als künstlerisch wertvoll betrachtet arbeiten drei Düsseldorfer an der Erweiterung des Klangraums von Konzertflügeln. Volker Bertelmann alias Hauschka war als Komponist der Filmmusik von „Lion“ sogar Oscar-nominiert und wird weiterhin von Hollywood hofiert. Auch das Duo Grandbrothers klopft maximales Potenzial aus modulierten Pianos. „Open“ heißt ihr zweites Album, das seine Hörer tatsächlich in weit offene Räume trägt. „Krautrock ohne Rock“ nannte eine Musikzeitschrift den Klang der Förderpreisträger.
Auch für Neue-Deutsche-Welle-Historiker wurde einiges geboten. DAF veröffentlichten ihre Geschichte in einem Best-Of-Schuber. „Das ist DAF“ heißt auch der gerade erschienene prachtvolle Bildband mit vielen unveröffentlichten Fotos und Interviews des Skandal-Duos aus den frühen 80er-Jahren. Was wirklich Neues hat dagegen Der Plan im 38. Karrierejahr geliefert. Mit „Unkapitulierbar“ malte die Frührentner-Gang ein neues dadaistisches Pop-Cartoon in die Welt. Eines, das uns wieder lächeln lässt. Für die Single „Lass´ die Katze stehn“ hätten ihnen Deichkind sicherlich mehr als eine Pyramide überlassen.
Das Open Source-Open-Air war 2017 erstmals ausverkauft, derweil das New Fall Festival wie auch Rüdiger Eschs Electri-City-Congress weiter an Renommee gewonnen haben, feierte man im Zakk bereits den 40. Geburtstag.
Und auch absolute Superstars sorgten NRW-exklusiv für grandiose Konzerte: Literaturnobelpreisträger Bob Dylan, Rolling Stones, Beach Boys, Robbie Williams, Nick Cave und The xx. Der neue DCSE-Manager Michael Brill will bereits in seinem ersten Amtsjahr zeigen, wie man auch die großen Sportstätten endlich aus ihrem konzertanten Dornröschenschlaf wecken kann. So bewies er Kreativität, in dem er durch ein paralleles Auf- und Abbauverfahren ermöglicht, dass innerhalb von nur vier Tagen — Bühneninstallationen dauern in diesen Dimensionen bis zu einer Woche — sowohl Bruno Mars als auch Helene Fischer ihre Gastspiele im kommenden Sommer in der Esprit-Arena bestreiten können. Weitere große Namen (z.B. Bon Jovi) sind im Gespräch.
Für einen Fluch der Karibik sorgten in diesem Jahr die beiden Puertoricaner Luis Fonsi und Daddy Yankee (der auch bei Camila Cabellos aktuellem Hit „Havana“ mitrapt) mit „Despacito“ (Spanisch für gemächlich) — dem globalsten und in Deutschland erfolgreichsten Sommerhit seit Boney M’s „Rivers Of Babylon“ von vor 40 Jahren: 17 Wochen Nummer eins der Single-Charts. Der unersättliche Ohrwurm hat mit viereinhalb Milliarden (!) Youtube-Clicks einen neuen Weltrekord aufgestellt, wurde mit Preisen überhäuft und hundertmal parodiert und gecovert (etwa von Justin Bieber). Auch die beiden Intelligenzbestien Kay One feat. Piedro Lombardi sind mit ihrer „deutschen“ Cover-Version „Senorita“ noch recht erfolgreich auf den vollbesetzten Reggaeton-Zug aufgesprungen.
Neben Latin-Pop und Schlager ging in 2017 auch an Ed Sheeran kein Weg vorbei. Der Feuerkopf verwies mit „Shape of You“, dem erfolgreichsten Song des Jahres, und seinem Hit-Album „Asylum“ selbst Helene auf die hinteren Plätze. Der deutschsprachige Hit des Jahres heißt „Was Du Liebe nennst“. Doch Bausa scheint ein rein postpubertäres Phänomen zu sein.
Auch wenn sie bislang von deutschen Fachmagazinen und Mainstream-Medien unentdeckt blieben, sind Parcels der heißeste Scheiß des Jahres. Am 17. Mai waren sie im Zakk zu Gast. Fünf australische Surferboys, die als Adoleszenten vor zwei Jahren vom Urlaubsparadies Byron Bay in eine winzige WG nach Berlin auswanderten, avancierten im Eiltempo zum Geheimtipp. Benannt nach dem Café der Eltern eines Bandmitglieds, haben sich die Neo-Hippies dem Sound von 1977 verschrieben. Nicht dem des nihilistischen Punkrocks anno ‘77, sondern dem des hedonistischen Gegenteils, jener fein abgeschmeckten Melange aus Chic/Nile Rodgers-Disco und jazzig angehauchtem Groove-Pop à la Steely Dan. Was könnte Debütanten (im Schnitt 23) im 21. Jahrhundert Besseres einfallen? Dass sie noch kein Album veröffentlicht haben, beeindruckt die Netzgemeinde nicht sonderlich. Alleine die virale Präsenz ihrer funky Dance-Songs, die auch auf zwei E.P.’s und Compilations des Elektro-Labels Katsuné kursieren, sorgt für Euphorie und einer Verneigung der Musik-Avantgarde. Den Club-Hit „Overnight“ produzierten Daft Punk, andere Tracks wurden von Mouse On Mars oder Kraak & Smaak remixt. Zwei Keyboarder, Bassist und Gitarrist haben die Haare schön und bilden eine dynamische Vierer-Front, der einzig Kurzhaarige gibt dahinter den Takt an.
Trotz ihrer Jugend spielen die jungen Nerds handwerklich versiert, improvisieren gerne und beherrschen auch den mehrstimmigen Falsettgesang ihrer Ahnen Bee Gees. Seit Monaten ist die Band pausenlos auf Tour. In Frankreich, wo sie längst als „grande chose“ gelten, versetzten sie als Open Air-Headliner 30 000 Menschen in einen kollektiven Disco-Rausch. Die aktuelle Solo-Tournee war allerorten ausverkauft. Mit dem Stempel „Big in Europe“ kehren Parcels im Januar für ein paar Konzerte nach „Down under“ zurück. Bleibt zu hoffen, dass wir sie bald auch in Düsseldorf live erleben dürfen. Am liebsten beim „Open Source“-Festival in Grafenberg.