RuhrTriennale startet mit „Tristan und Isolde“
Bochum (dpa) - Mit einer fulminanten Auftakt-Premiere ist in der Bochumer Jahrhunderthalle die zehnte RuhrTriennale eröffnet worden.
Kurz vor Mitternacht feierte das Premierenpublikum am Samstag nach knapp fünfeinhalb Stunden Spieldauer mit einhelliger Begeisterung Willy Deckers Inszenierung von Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“. Decker ist der erste Intendant der RuhrTriennale, der auch selbst inszeniert. „Urmomente“ lautet unter seiner künstlerischen Leitung das übergreifende Motto, das sich der Erforschung der Verbindungen von Kunst und Spiritualität widmet.
Extreme Vereinfachung und Reduktion ist für Decker und sein Team der Schlüssel für Wagners rätselhaftes Werk: In der Jahrhunderthalle ist eine ansteigende Tribüne aufgebaut, davor eine breite Bühne, die den Blicken zunächst verschlossen ist mit einer schwarzen Folie, darunter ein Orchestergraben. Wäre diese klassische Guckkastenbühne nicht von der majestätischen Weite der Industriehalle umgeben, könnte man fast von einer normalen Bühnensituation sprechen.
Was an diesem Ort erstaunt, ist man doch von der RuhrTriennale spätestens seit David Pountneys Inszenierung von Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ an spektakuläre Raumlösungen mit fahrenden Podien, mobilem Orchester und multimedialer Optik gewöhnt. Doch mit dem Ende des Vorspiels weitet sich dann der Blick: zwei massive weiße Platten markieren den Bühnenraum. Eine davon bildet den Bühnenboden, der den ganzen Abend über gähnend leerbleibt, die andere schwebt bedrohlich schwer darüber, im Hintergrund in der Ferne ein riesiger weißer Himmelskörper.
Bühnenbildner Wolfgang Gussmann hält die Konstellation der beiden weißen Flächen den ganzen Abend über in Bewegung: Unsichtbare Hydraulik sorgt dafür, dass die Platten sich in alle Richtungen verschieben können, sich schräg stellen, zur Seite fahren oder sich zu einer Wand aufbauen, während der weiße Kugel-Körper zur Projektionsfläche von Videos wird. Ständig werden neue Perspektiven sichtbar, der ganze riesige Raum scheint im Nichts zu schweben.
Decker gelingt eine packende, immens konzentrierte Personenregie, deren hohe Spannung selbst im endlosen Liebesduett des zweiten Aktes niemals nachlässt. Dabei kommt er ganz ohne Aktionismus oder Ersatzhandlungen aus, sondern entwickelt die Energien aus der inneren Glut der Figuren heraus. Die Dramen spielen sich innerlich ab und werden doch in den optischen Konstellationen sichtbar, in minimalen Gesten und sprechenden Blicken. Reduzierter kann man das kaum inszenieren.
Ganz aus dem Geist des Kammerspiels deutet auch Kirill Petrenko mit den Duisburger Philharmonikern im Graben Wagners Werk. Petrenko setzt auf extreme klangliche Transparenz und Differenzierung, riskiert Generalpausen, die nicht enden wollen, und höchst eigenwillige Akzente. Das Ergebnis ist ein Wagner-Klang, der weniger auf Überwältigung als auf Struktur setzt. Die Duisburger Philharmoniker folgen Petrenko auf der Stuhlkante sitzend und glänzen mit leuchtendem Ton und makellosen Bläsersoli.
Festspielwürdig sind auch die Sänger-Darsteller: Anja Kampe ist eine furios stolze Isolde mit strahlenden Höhen und mustergültiger Diktion. Christian Franz' Tristan beweist enorme Kondition und Durchschlagskraft, Stephen Milling ist ein berührender König Marke mit balsamischem Legato, Claudia Mahnke eine glühende Brangäne, Alejandro Marco-Buhrmester ein leidenschaftlicher Kurwenal.