Schrille Kleidung, friedliche Seele: 13 000 Besucher beim Amphi-Festival
Gothics aus ganz Europa strömten am Wochenende zum Kölner Tanzbrunnen.
Köln. Wer am Wochenende das Vergnügen hatte, mal von oben auf das Gelände des Amphi-Festivals am Kölner Tanzbrunnen schauen zu dürfen, sah vor allen Dingen eines: schwarz. Schwarz gekleidete Menschen, die sich um die Bühne scharren, auf Liegestühlen am Strand faulenzen oder an mobilen Shops einen "Schaufenster-Bummel" machen.
Mitten drin gibt es immer wieder leuchtende Punkte zu entdecken - Löckchen aus neonfarbenen Plastikrohren, bunte Puschel an den Waden, die von weitem wie eine Schlaghose wirken, Schweißerbrillen, die um den Hals baumeln. Doch so ungewöhnlich und für manch einen Betrachter auch erschreckend der Anblick sein mag: Alles bleibt friedlich.
Bis auf einen kurzen Moment am Samstagabend: feine Staubflöckchen werden im grellen Scheinwerferlicht sichtbar. Dass es mehr als sonst sind, fällt keinem der 4000 Besucher der Rheinparkhalle auf. Dicht gedrängt stehen die Fans der Band Feindflug vor der Bühne. Manche haben ein wenig mehr Platz und bewegen sich zu den stampfenden Rhythmen, die aus den Lautsprecher-Boxen schallen.
Die Staubflöckchen tanzen noch immer im Scheinwerferlicht - es werden mehr und mehr. Dann geht alles ganz schnell - plötzlich bricht ein zwei Quadratmeter großes Stück Putz aus der Hallendecke und kracht auf die Bühne. Feindflug unterbrechen ihr Konzert, schmeißen noch schnell die Drumsticks in die Menge - und ein wenig Putz hinterher.
Innerhalb weniger Minuten wird die gesamte Halle geräumt - noch weiß keiner, ob vielleicht Einsturzgefahr besteht. Zwei Stunden später gibt die Feuerwehr Entwarnung: Musiker oder Zuschauer wurden nicht verletzt. Doch der Schock ist groß: Die Halle, in der am Samstag Laibach und am Sonntag noch viele andere Bands, wie Camouflage oder KMFDM auftreten sollen, ist und bleibt gesperrt.
Ratlose Fans irren durch die Strandbar, immer wieder gibt es neue Gerüchte um Laibach. Spielen sie nun oder spielen sie nicht? Eine Lautsprecherdurchsage klärt die Lage: Sie spielen - und zwar im Theater am Tanzbrunnen, wo die Techniker innerhalb von zwei Stunden eine komplette Bühne aufbauen.
Das Rahmenprogramm, das dort stattfinden sollte, ist abgesagt oder wird nach hinten verschoben. Zwar gibt es bei Laibach nun ein riesiges Gedränge, dennoch kommen viele Fans in den Genuss, die Band doch noch live sehen zu können.
Den ersten musikalischen Höhepunkt am Samstag setzen Absolut Body Control in der Halle. Bei ihnen passte an diesem Nachmittag einfach alles. Ein glasklarer und druckvoller Sound und eine perfekte Songauswahl. Bereits nach dem Auftaktsong Melting Away hatte die Band das Publikum auf ihrer Seite. Die aktuellen Tracks der Never Seen Maxi reihten sicht nahtlos ein, wobei das überragende Into The Light den begeisterten Fans ein furioses Finale bescherte. Absolut Body Control stehen am Samstag für Electronic Body Music der Perfektion.
Mit Eisbrecher stehen am späteren Nachmittag Wiederholungstäter auf der Bühne - schon in den vergangenen Jahren errockte sich das Quintett aus München die Herzen der schwarzen Szene. Mit ungewohnt tiefer und einer sehr glasklaren Stimme begrüßte Frontmann Alexx Wesselsky die Kölner Fans mit "Kann denn Liebe Sünde sein?".
Diese bleiben auch vor der Bühne stehen, als es plötzlich für einige Minuten heftig zu regnen anfängt. Schirme werden aufgespannt, unter den Dächern vor der Bühne rücken die Menschen näher zusammen. "Sag mir wovor hast Du Angst", brüllt Wesselsky in den Zuschauerraum - die Antwort der Fans ist eindeutig: definitiv nicht vor Wasser...
Leather Strip waren 17 Jahre lang nicht mehr in Deutschland zu sehen - daher warteten ihre Fans gespannt auf den Auftritt. Viele fragten sich schon vorher, was wohl auf der Setlist stehen würde. Klassiker oder doch eher viel von dem neuen Material? "Are you ready for some old school", fragt der Sänger und stimmt sogleich einen Klassiker an: Strap me down. Schade war nur, dass der Sound teilweise zu leise und etwas zu verschwommen war.
Die Schweden von Covenant kamen, wie immer, in cremeweißen Anzügen auf die Bühne. Die Wolken machten der Sonne Platz, die Beats wurden nach Leather Strip wieder weicher. Neben altbekannten und geliebten Hits wie Bullet, Call the Ships to Port oder Ritual Noise hatten Eskil Simonsson und Joakim Montelius auch zwei neue Songs im Gepäck, die die Fans jedoch nicht zu solch großen Begeisterungsstürmen brachte, wie die altgedienten Hits.
Kurz bevor die Fields of the Nephilim zu spielen beginnen, scheint es, als wäre das Publikum vor der Bühne einmal komplett ausgetauscht worden. Anstatt enger Lack- und Lederkleidchen, engen Synthetic-Shirts oder schrill-bunten Outfits sind plötzlich Lederhosen, Jeans und Band-T-Shirts zu sehen. Dass sich einige der Zuschauer extra für diesen Auftritt eine Tageskarte gekauft hatten, war unschwer zu erkennen. Und während die schwermütigen Songs am Rhein entlang schallten, entspannten sich viele der Festivalbesucher bereits bei einem Cocktail in der Strandbar.
Am Sonntagmorgen werden viele der Festivalbesucher von einem rhythmischen Klopfen geweckt. Regen prasselt auf die Zeltdächer und an die Hotelzimmerfenster. Sturmböen treiben abgebrochene Äste und nasses Laub über den Asphalt. Doch glücklicherweise verschwinden die Regenwolken wieder genauso schnell, wie sie gekommen sind.
Die Probleme auf der Ausweichbühne im Theater lassen sich leider nicht so schnell lösen. Und so kommt es, dass die Lokalmatadore von Jesus on Extasy erst mit einer 45-minütigen Verspätung auf die Bühne kommen. Diese Verspätung zieht sich im Theater leider durch den ganzen Tag, so dass es zu vielen Überschneidungen mit der Hauptbühne kommt. Vielleicht kommt die Verspätung aber auch nicht ungelegen - schließlich ist das Theater viel kleiner als die Rheinparkhalle - und das befürchtete Gedränge im Theater bleibt schließlich aus.
Richtig voll wird es an der Mainstage unterdessen zum ersten Mal während des Auftrittes von Saltatio Mortis. Oder wie Moderator Honey von Welle:Erdball sagte: "Die charmanteste Band des Festivals." Und tatsächlich besticht die Mittelalter-Punk-Combo mit einer unglaublichen Spielfreude, die auch manch gesangliche Schwäche ausbügelt.
Die nächste Band auf der Hauptbühne begeistert vor allen Dingen durch ihre spektakuläre Bühnenshow. Hocico, die "Hosikoh" ausgesprochen werden, zeigten mit traditionellen indianischen Gewändern, ihrem prachtvollen Kopfschmuck und den Räucherstäbchen in alten Kelchen, dass sie stolz auf ihre Heimat Mexiko sind.
Derweil präsentierte Oswald Henke im Theater diesmal keine Songs seines Projektes fetisch:mensch, sondern lässt die Herzen der Fans von Goethes Erben und Artwork höher schlagen. Auf der Hauptbühne wird gerade für Unheilig umgebaut - zu erkennen an dem erschreckend hohen weiblichen Fan-Anteil in den ersten Reihen. Schließlich sprintet der Graf auf die Bühne, rast von links nach recht, zuckt, tanzt - und macht mit seinen hektischen Bewegungen den Fotografen das Leben schwer. Im Gepäck hat er sehr viele Songs des Albums Puppenspieler - kein Wunder, baumelt doch die Puppe an ihren Fäden von der Decke.
Schnell, schnell - geht es danach wieder ins Theater. Jedoch nur um sich die Frage zu stellen: KMFDM oder Front 242? In der Halle scheint es noch zu dauern und so machen sich viele Besucher direkt wieder auf den Weg ins Freie, um direkt von lautstarken "Zwei-Vier-Zwei"-Sprechchören begrüßt zu werden.
In der ersten Reihe hält ein Fan eine belgische Flagge hoch, andere schreien sich die Lungen aus dem Hals. Gänsehautatmosphäre pur. Kunstnebel wird aus einer Maschine gepustet, die Scheinwerfer blenden das Publikum. Dann brandet Jubel auf, als sich die Band endlich auf die Bühne wagt. Beim Jubel bleibt es nicht: der erste Beat erklingt, die Körper der Fans zucken im Rhythmus. Zwar zuerst nur in den ersten Reihen, doch spätestens als Headhunter und Im Rhythmus bleiben erklingt, tanzt fast jeder auf dem Gelände.
Gefeiert wird noch bis spät in die Nacht in Köln - zu Klängen von Camouflage, The Gathering und der Musik, die von den DJ's aufgelegt wird.
Karten für das Amphi-Festival am 24. und 25. Juli 2010 hat der Vorverkauf bereits begonnen. Gruppentickets für 6 Personen zum Preis von 5 sind ebenfalls schon erhältlich. Bereits angekündigt ist ein Auftritt von Welle:Erdball - der aber noch nicht vom Veranstalter bestätigt wurde.