Seifenoper mit Happy End
Mit Fans wie Elton John oder Burt Bacharach im Rücken stürmt das sanfte Stimmwunder Rumer aus Großbritannien nun auch die deutschen Charts.
Was lange währt, wird endlich gut. Kaum zu glauben, dass sich dieser Satz auch in einem schnelllebigen Geschäft wie der Popbranche noch bewahrheiten kann. Musik macht Rumer seit sie 16 ist, seit ihrem 21. Lebensjahr trat sie dann regelmäßig in Clubs auf, meist im Rahmen von schäbigen Talentwettbewerben, bei denen es den Pub-Betreibern eigentlich nur darum ging, billig an Live-Musiker zu kommen.
Bis zu diesem Abend vor rund anderthalb Jahren, als im Publikum Steve Brown saß, ein in Großbritannien recht bekannter Musical-Komponist, der eigentlich nur gekommen war, um seinen Sohn anzufeuern. Er hörte Rumers Stimme, eine unvergleichlich klare Stimme mit einem warmen, eindringlichen Timbre. Und er wusste: Diese Frau wird ein Star. Ich muss nur ein wenig nachhelfen.
Sein Gespür trog ihn nicht. Brown machte aus Rumers gefühlvollen Songs im Studio orchestersatte Easy-Listening-Nummern, von denen man schon jetzt sicher sein kann, dass sie in spätestens zehn Jahren zum Standard-Repertoire geschmackssicherer Big Bands zählen werden.
„Unzeitgemäß“ nennen das die einen, „zeitlos“ die anderen. Mit ihren unwiderstehlich mäandernden Melodieläufen und den tiefenentspannten Arrangements erinnert Rumers Musik an die unbeschwerte Leichtigkeit der Klassiker von Burt Bacharach („Raindrops Keep Falling On My Head“). Tatsächlich lud der Grandseigneur des amerikanischen Pop Rumer bereits zur Privataudienz.
„Seasons Of My Soul“ steht für Entschleunigung. Schon die erste Single machte das deutlich, die sich im Sommer 2010 katzenhaft in die Herzen der Briten schmeichelte. Ihr bezeichnender Titel: „Slow“. Im Herbst folgte dann das Album „Seasons Of My Soul“, das in England bereits Goldstatus hat und nun auch in Deutschland veröffentlicht wurde.
Der Erfolg, der nun über ihr hereinbricht, ist die letzte Wendung, die ihr in ihrer schicksalsträchtigen Biografie noch fehlt. Denn Rumers Leben liest sich wie eine Hochglanz-Soap: Geboren und aufgewachsen ist sie als Sarah Joyce in Islamabad, der Vater war ein Ingenieur, der am Bau der Tarbela-Talsperre im Norden der pakistanischen Hauptstadt beteiligt war.
Sieben Geschwister ziehen sie mit auf, die Brüder hieven sie bereits als Dreijährige bei ihren Bandproben ans Mikrofon. Kurz nach ihrem elften Geburtstag kehrt ihre Familie zurück nach Großbritannien. Die Eltern trennen sich, als herauskommt, dass Nesthäkchen Sarah die Tochter eines pakistanischen Kochs ist.
Nach der Schule studiert sie Schauspiel, versucht als Musikerin in London ihr Glück, stellt ihren Traum allerdings hintan, als ihre Mutter an Krebs erkrankt. 2003 erliegt diese ihrem Leiden. Kurz danach sterben auch ihr Ziehvater, ihre Großmutter und ihre Tante. Vor ihrem Tod verfasste Sarahs Mutter eine Liste mit Büchern, die sie für lesenswert erachtete.
Einer der Romane stammt von Rumer Godden, einer britischen Autorin, die lange in Indien gelebt hat. Sarah gefällt der Name, sie findet ihn „mysteriös und glamourös“. Außerdem verbindet sie mit Godden, dass sie beide im Mittleren Osten aufgewachsen sind. Seit dem Schicksalsjahr nennt sie sich Rumer.
„Diese Zeit hat mich sehr geprägt. Deswegen handeln meine Songs auch vom Leben und der Frage nach dem Sinn“, sagt sie heute. Der Rummel um sie herum scheint sie nicht aus der Ruhe bringen zu können.
„Ich habe mich viel mit mir selbst beschäftigt“, erzählt sie. „Das hat mich zu der Erkenntnis gebracht, dass sich alles wiederholt, leider auch die Fehler, die man macht. Es ist wie ein Zyklus, wie die Jahreszeiten, die immer wiederkehren. Deswegen heißt mein Album auch ,Seasons Of My Soul’.“
Nun ist England als Heimatland des Pop im Verschleißen von hoffnungsvollen Jungtalenten fast genauso gut wie im Aufbauen. Doch in Rumers Fall sollte man sich den Namen tatsächlich merken. Zu ehrfürchtig sprechen Schwergewichte wie Elton John oder Jools Holland von der außergewöhnlichen Stimme der 31-Jährigen. Es klingt stark nach einem Happy End für Rumer.