Suche nach dem „wilden Wohlklang“
Hans Werner Henze, einer der großen deutschen Komponisten der Gegenwart, wird 85 Jahre alt.
Marino/Provinz Rom. Schon vor Jahren hatte er angekündigt, nie wieder eine Oper schreiben zu wollen. Aber hat er sich daran gehalten? Mitnichten. „Was hätte ich sonst den Tag über machen sollen?“, sagt Hans Werner Henze, einer der großen Komponisten unserer Zeit. Erst 2010 kam die Uraufführung seiner Oper „Gisela! Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks“ in Gladbeck auf die Bühne. Am Freitag wird der Mann, der eine schier unüberschaubare Menge von Orchester-, Vokal- und Bühnenwerken komponiert hat, 85 Jahre alt.
In den vergangenen Jahren hatte er eine Reihe von Schicksalsschlägen zu überstehen: Sein Lebensgefährte starb, er selbst war schwer krank, lag im Koma. Er besiegte die Krankheit — und komponierte weiter. Schon 1963 hatte er der Freundin Ingeborg Bachmann nahegelegt, wie ein Künstler persönliche Krisen bewältigen solle: durch Arbeit.
Für ihn ist die Musik „eine Art Belohnung für die vielen schwierigen Dinge, die ich erlebt habe“. Er galt als Rebell, der für den Geschmack der musikalischen Avantgarde zu gefällig komponiert. „Von Anfang an hatte ich Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang“, lautet sein vielzitiertes musikalisches Credo. Dazu nutzt er Klänge, die an Musik vom Barock bis zu Richard Strauss, sogar an Jazz erinnern.
Geboren wurde er in Gütersloh. Schon als Kind komponierte Henze, später fand er zur musikalischen Revolution der Zwölftonmusik — und ließ sie wieder hinter sich. Aus Deutschland setzte er sich beizeiten ab: Seit 1953 lebt er in Italien, in den Albaner Bergen vor den Toren Roms.
1965 kam der Durchbruch mit der Oper „Der junge Lord“. Der Komponist war angekommen — „talentreichster seiner Generation“, nannten ihn Kritiker.
Er galt als politischer Künstler; sein Oratorium „Das Floß der Medusa“ widmete er Che Guevara. Bei der Uraufführung 1968 in Hamburg weigerte sich der Chor, unter einer roten Flagge zu singen. Es kam zu Tumulten, die Polizei griff ein, vor dem ersten Ton war das Konzert beendet.
Danach hielt der deutsche Musikbetrieb erst einmal Abstand zu Henze. Der feierte stattdessen Erfolge in Großbritannien und den USA — und dann auch wieder in Deutschland, etwa 1990 mit dem Musikdrama „Das verratene Meer“. In den letzten Jahren hieß es bei allen neuen Werken, dies sei wohl sein letztes Stück. Der Komponist lächelt dazu: So etwas stachele ihn an.