Sufjan Stevens: Auf der Reise durchs Wunderland
Um was genau es sich bei der Musik von Sufjan Stevens handelt, weiß wohl nur der Künstler selbst. Sicher ist: Die Songs des 34-Jährigen klingen fantastisch.
Düsseldorf. Das Erstarken eines vermeintlich neuen Genres ist in der Pop-Musik immer ein gefundenes Fressen für Experten und Rezensenten. Es gibt ihnen die Gelegenheit, sich immer kuriosere Wortschöpfungen einfallen zu lassen. "Britpop" war ein solcher, von Zeitungsleuten ersponnener Hybrid-Begriff, der seit dem Verschwinden von Oasis und Blur allerdings immer mehr an Bedeutung verliert.
Anfang des momentan laufenden Jahrzehnts erschienen die Strokes und ihre etlichen Epigonen auf der Bildfläche, die knackig als "New Rock" betitelt wurden. Und mit den Fleet Foxes und Bonnie Prince Billie brach sich zuletzt der "New Folk" seine Bahn. Alles lässt sich mit einem Label versehen.
Aber was tun im Fall eines Sufjan Stevens? Dieser 34-Jährige ist in den USA schon eine verhältnismäßig große Nummer. Und er könnte, nachdem er mittlerweile auch vom deutschen Feuilleton entdeckt wurde, nun die passionierten Wort-Bastler auf den Plan rufen. Dann allerdings wird’s kompliziert. Denn Stevens, der dieser Tage sein neues, achtes Album vorlegt, ist, um es griffig zu umschreiben, ein Verrückter.
Das zeigt sich schon am seltsamen Namen der Platte: "Osso Run Rabbit Run". Das zeigt sich auch, sobald man diese Platte hört. Und es zeigt sich, wenn man den Werdegang ihres Urhebers nachzeichnet: Die Indie- und Folk-Phase im Stil von Bright Eyes hat der in Detroit geborene Stevens hinter sich gelassen. In einem Interview mit der US-Zeitschrift "Dusted Magazine" sagte er über seine Songschreiber-Tätigkeit: "Ich bin ein wenig obsessiv", ja, manchmal werde er gar "verrückt", fuhr er fort, widme sich längst wesentlich höheren und komplexeren Aufgaben.
Zum Beispiel der Vertonung seines Heimatlandes USA. Mit "Greetings from Michigan" und "Come on, feel the Illinoise" komponierte er für zwei Staaten bereits Konzeptalben über deren Land, Leute und Eigenheiten. Die Soundtracks der restlichen 48 Staaten sollen folgen, heißt es immer wieder. Wobei man hier nie sicher sein kann, ob das nicht doch nur ein netter PR-Gag sein soll.
Dann noch das: Auf seinem 2001er-Album "Enjoy Your Rabbit" nahm Stevens sich der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen Ratte, Büffel, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund und Schwein an. Jedem der kreuchenden und fleuchenden Gesellen schenkte er ein voller elektronischem Gewusel und Gewimmer steckendes Stückchen Musik.
Und nun eben "Osso Run Rabbit Run". Kein Folk. Kein Elektronik-Chic. Sondern die klassische und weltmusikalische Version des "Enjoy Your Rabbit"-Albums. Jeden Song arrangierte Stevens für das Streichquartett "Osso" um - was den Namen der Platte zumindest zu einem guten Teil erklärt. Dann fügte er eine Instrumentierung hinzu, die alles andere als spartanisch ist. Dafür spielte Stevens Banjo, Klavier, Geige, Akkordeon, Vibrafon, Blockflöte, Triangel, Pauken und Trompeten ein. Er ließ Chöre singen. Und er beauftragte gleich sechs Produzenten, sich der 13 Songs im Wechsel anzunehmen.
In einem Fanforum schlug ein User bereits den neuen Genrebegriff "Orchestraler Independent-Fantasy-Rock" vor. Indes: Stevens krudes Konzept, elektronischen Pop quasi eins zu eins in klassische Musik umzuwandeln, funktioniert tatsächlich. Das Ergebnis ist schlichtweg verblüffend. Was vorher ein dezenter Backbeat aus dem Drumcomputer war, ist jetzt das rhythmische Klopfen einer Hand auf dem Cello. Was zuvor als Maschinen generiertes Klicken daherkam, ist nun das Schnalzen einer menschlichen Zunge. Stevens schickt den Hörer auf eine anfangs sicherlich nur schwer zu fassende Reise durch sein ganz eigenes Wunderland der Töne, Laute, Klänge und Melodien.
Verstehen muss man sie nicht, die Musik eines Mannes, der seine Albumcover gerne mit Superman oder bunten Zeichnungen von Vögeln, Fischen und Bibern schmückt. Und seinen "Songs" Namen gibt wie "The Vivian Girls Are Visited in the Night by Saint Dargarius and His Squadron of Benevolent Butterflies". Aber genießen kann man sie. Und zwar uneingeschränkt.