The Knife brechen mit alten Gewohnheiten
Berlin (dpa) - Bässe stampfen, Synthesizer zittern, verzerrte Stimmfetzen dringen durch die Nacht. Es knistert und klackert und knackt. Immer schriller ertönen Stimmen wie von Geschöpfen der Unterwelt, ein Wesen flattert aufgeregt davon, Trommeln treiben hastig weiter.
Wer das neue Album „Shaking the Habitual“ des schwedischen Duos The Knife hört, fühlt sich verfolgt, und kann sich trotzdem nicht so recht lösen. Düster und eingängig zugleich ist der nächtliche Synthie-Pop auf ihrem vierten Album geworden.
Die Aufregung um die neue Scheibe ist groß. Sieben Jahre sind immerhin vergangen, seit die Geschwister Olof Dreijer and Karin Dreijer Andersson ihr teils frenetisch gefeiertes Album „Silent Shout“ vorlegten. Als Fever Ray (Karin) und Oni Ayhun (Olof) werkelten die beiden Musiker im Alleingang weiter, doch das langersehnte nächste Kapitel des elektronischen Klang-Epos namens The Knife blieb aus.
„Musik kann so bedeutungslos sein“, schrieb die Band noch im Dezember auf Twitter, nachdem sie dort ein Jahr lang überhaupt nichts von sich hören ließ. Eine Sinnkrise will Olof Dreijer diese eher ruhige Phase von The Knife nicht nennen. Aber warum er in einer so hierarchischen und oft ungleichen Gesellschaft ausgerechnet Spaß haben und einfach Musik machen kann, hat ihn lange Zeit umgetrieben.
Jetzt wabern die Bässe wieder. Satte 98 Minuten füllt „Shaking the Habitual“, die beklemmende Klangkulisse „Old Dreams Waiting“ bringt es allein auf 19 Minuten. Wie vor sieben Jahren schreiben The Knife wundervoll verwunschenen Electro, aus dessen Gebüsch es glitzert und funkelt, in dessen Unterholz aber auch Kreaturen und Abgründe lauern, die wir in uns spüren und nicht gern ans Licht holen wollen. Die Synthesizer winden und ziehen sich, das Spiel der Schweden betört und verstört im selben Taktschlag.
Oft unberechenbar sind die teils aus Improvisation heraus entstandenen Titel, mit denen The Knife sich von ihrer musikalischen Vorerfahrung lösen. Statt die Versatzstücke ihrer Musik am Computer zu bauen, griffen die Geschwister erstmals auch zu konventionellen Instrumenten, spielten diese auf unkonventionelle Weise oder bauten sich kurzum ihr eigenes musikalisches Werkzeug. „Wir wollten einen Raum finden, an dem alle Klänge gleich seltsam, gleich normal sind, an dem die Grenze zwischen normal und fremd verwischt wird“, schreiben sie in einer Mitteilung.
In diesem Grundsatz für ihre Musik verbirgt sich auch die Philosophie der Dreijers. Große Fragen zu Macht, Reichtum, Klasse, „Rasse“ und Geschlecht umkreisen das neue Album, und immer wieder geht es um den Versuch, endlich die verkrusteten Strukturen zu durchbrechen, etwa bei der ihrer Ansicht nach längst überholten Kernfamilie aus Vater, Mutter und Kind. Schon der Titel „Shaking the Habitual“ - ein Zitat des Poststrukturalisten Michel Foucault - ruft danach, endlich alte Gewohnheiten und Denkweisen abzuschütteln.
Treibender Synthie Pop wird die Band auch mit dem neuen Werk ein Stück berühmter machen, doch für sie ist die Musik vor allem Mittel zum politischen Zweck. Feministische und sozialistische Ansätze, um alte Machtverhältnisse zu überwinden, die Queer-Theorie, nach der das Geschlecht nicht naturgegeben ist, sondern in der Gesellschaft konstruiert wird, die Gender-Studien der Universität Stockholm, deren Literatur das Duo während der Produktion des neuen Albums wälzte - all diese Ansichten verbergen sich auf der Platte. Diese theoretische Unterfütterung der unverwechselbaren Klangwelt von The Knife geben Gewissheit, dass sieben Jahre Warten sich gelohnt haben.