Verfassung schützt nicht vor Geschmacklosigkeit

Beleidigungen in Liedtexten, Hitlergruß und Gaskammern auf der Theaterbühne — was darf Kunst, und wo verlaufen die Grenzen?

Düsseldorf/Kassel. Was darf Kunst? Diese Frage beschäftigt derzeit Deutschland. Ob nun Rapper Bushido (34) mit schwulenfeindlichen Parolen, Tötungs- und Gewaltfantasien in einem neuen Lied für Empörung sorgt oder Skandal-Künstler Jonathan Meese (43) wegen eines Hitlergrußes vor Gericht steht — die Grenzen zwischen Kunst und strafbarem Handeln sind nicht immer klar.

„Kunstfreiheit hört da auf, wo Rechte anderer schwerer wiegen“, sagt Professor Rolf Schwartmann, Leiter der Forschungsstelle Medienrecht der Fachhochschule Köln. Bei Beleidigungen von Politikern, wie sie Bushido vorgeworfen werden, könne das Persönlichkeitsrecht verletzt sein.

Der Hitlergruß von Meese greife auch den Staat an. Doch ist das strafbar? „Jeder Einzelfall muss abgewogen werden, es kommt auf den Zusammenhang an“, betont Schwartmann. Denn Provokation gehöre zur Natur der Kunst, Künstler müssten provozieren dürfen und trügen dazu bei, diese Grenze immer wieder auszuloten.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzte den Bushido-Song als gefährdend für Minderjährige vorläufig auf den Index. Das Gremium gab damit dem Jugendschutz Vorrang vor der Kunstfreiheit. In dem Lied werden Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der FDP-Bundestagsabgeordnete Serkan Tören, Comedian Oliver Pocher und Grünen-Politikerin Claudia Roth namentlich genannt und derb beleidigt.

Meese hatte im Juni 2012 in Kassel in einem Gespräch die „Diktatur der Kunst“ gefordert und den Arm zum Hitlergruß gehoben — der Prozess vor dem Amtsgericht beginnt heute. Meese, eine der Skandal-Figuren der Kunstszene in Deutschland, provoziert seit Jahren immer wieder mit dem Hitlergruß. Meese sagt, in dem Prozess gehe es nicht nur um ihn, „sondern auch darum, was ein Künstler auf der Bühne machen darf und was nicht“. Bei Nazi-Symbolen komme es auf den Kontext an, betont Wissenschaftler Schwartmann. Ein Hakenkreuz oder Hitlergruß sei nicht in jedem Fall verboten — wie in der Fernseh-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder bei der Stromberg-Parodie der Comedy-Serie „Switch Reloaded“. „Das regt zum Nachdenken an.“

Ob etwas noch als Kunst zu rechtfertigen ist oder nicht: „Eine starre Linie ist nicht zu ziehen“, sagt der Wissenschaftler Schwartmann. Eines allerdings könne auch das Grundgesetz nicht leisten. „Die Verfassung schützt nicht vor Geschmacklosigkeit.“