Vor 50 Jahren starb Édith Piaf

Paris (dpa) — „Es hat nie zuvor eine Édith Piaf gegeben, und es wird auch nach ihr nie wieder eine geben“.

Jean Cocteau, bedeutender französischer Dichter, Regisseur, Maler und enger Freund der Sängerin, hat sich nicht geirrt. „Milord“, „Non, je ne regrette rien“ oder „Padam Padam“: Ihre Chansons sind weit über die Grenzen ihres Heimatlandes hinausgedrungen. Patricia Kaas, Katharine Mehrling oder Evelyn Ruzicka singen Piaf. An den schweren und einsamen Tod der französischen Chanson-Königin am 10. Oktober vor 50 Jahren erinnern Radiosendungen und Dokumentarfilme, an ihr dramatisches Leben zahlreiche Bücher. Der Weltstar starb im Alter von 47 Jahren - von Alkohol, Drogen und Schicksalsschlägen zerrüttet.

Viele haben versucht, den Mythos der Piaf zu ergründen. Erst im Frühjahr erschien „Édith Piaf. Hymne an das Leben“, eine mehr als 450 Seiten lange Biografie. Darin beschreibt der in Frankreich lebende Musikwissenschaftler Jens Rosteck ihren dramatischen Lebensweg von der Straßensängerin zum international gefeierten Star. Akribisch und mit vielen Details angereichert, entwirft Rosteck das Bild einer Frau, die sich vor Leidenschaft verzehrte, sich großzügig dem Publikum und dem Leben hingab.

„Nie verteilte sie sparsam — sie gab alles her, was sie besaß. Wie alle Menschen, deren Leben auf Mut basiert, dachte sie nicht an den Tod, sie forderte ihn heraus. Sie trotzte ihm. Nichts als ihre Stimme bleibt von ihr ... die alles in die Höhe hob, was sie sang“, zitiert Rosteck Cocteau, der am 11. Oktober 1963 starb, einen Tag nach Piaf. Großzügig, exzessiv, hingebungsvoll, selbstzerstörerisch: Die Piaf liebte das Leben, die Männer und den Alkohol.

Wenn der zerbrechliche, knapp 1,50 Meter große Spatz, wie „piaf“ auf Französisch heißt, auf die Bühne trat und mit Inbrunst „Non, je ne regrette rien“ sang, waren ihre Zuhörer von dem vokalen und emotionalen Erlebnis überwältigt. Sie lebte die Gefühle aus, über die sie sang. Sie erweckte Sehnsüchte, teilte Schmerz und Glückseligkeit mit. „Édith Piaf hatte nicht nur eine außergewöhnliche Stimme, sie wusste mit ihrer Musik Geschichten zu erzählen und Menschen emotional zu berühren“, erklärt auch die österreichische Sängerin und Schauspielerin Evelyn Ruzicka das Phänomen.

„Non, je ne regrette rien“ war nicht nur ein Lied. Dass sie nichts bedauert, war auch ein Geständnis. Édith Giovanna Gassion, wie sie mit bürgerlichem Namen hieß, zog unter vieles einen Schlussstrich, vor allem unter ihre unglücklichen Beziehungen. Sie überschüttete ihre Liebhaber mit kostbaren Geschenken und machte viele zu Stars. Ihre größte Liebe war der Boxer Marcel Cerdan, der 1949 bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam.

Das Leben der Piaf wird in abendfüllenden Dokumentarfilmen und zahlreichen Büchern erzählt. Doch manches gibt weiterhin Rätsel auf. So bleiben die Umstände ihrer Geburt bis heute im Dunkeln. Im Geburtsschein steht, dass sie am 19. Dezember 1915 im Haus Nr. 72 in der Rue de Belleville im gleichnamigen Arbeiterviertel nordöstlich des Pariser Zentrums das Licht der Welt erblickte. War es auf den Stufen des Hauses oder in einem Flur, breitete wie es oft hieß, ein hilfreicher Polizist seine Pelerine über das Neugeborene der von den Wehen überraschten Mutter aus? Eingetragen wurde die Geburt der Tochter einer Straßensängerin und eines Schaustellers im Tenon-Krankenhaus im 20. Arrondissement von Paris.

Drogen, Alkohol, Gicht, Autounfälle, mehrere Operationen und ihr ungestillter Hunger nach Liebe hatten Seele und Körper der Piaf zerstört. Frankreichs Nationalheiligtum starb am 10. Oktober 1963 im südfranzösischen Plascassier. Ihr letzter Wunsch war jedoch, in Paris zu sterben und begraben zu werden. Eine makabre Reise begann. In der Nacht wurde der Leichnam heimlich nach Paris transportiert. Dort stellte ihr Arzt einen falschen Totenschein aus: Datum 11. Oktober, Sterbeort Paris - wo auch ihr Mythos begann.