NRW-Staatspreis: Schriftsteller Navid Kermani beeindruckt mit Dankesrede

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Ministerpräsident Armin Laschet ehren den Kölner Schriftsteller Navid Kermani mit dem NRW-Staatspreis. Laschet nennt Kermani einen „Intellektuellen mit Alltagsrelevanz“, der Brücken baue zwischen unterschiedlichen Religionen und Kulturen.

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Köln. „Ich gratuliere Nordrhein-Westfalen zu diesem Bürger.“ Ein solcher Satz, gesprochen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), ehrt Navid Kermani noch einmal ganz besonders — den Schriftsteller, der am Montagabend in Köln den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen (dotiert mit 25 000 Euro) erhielt. Doch Schäuble, der etwas knorrige Laudator, wäre nicht Schäuble, wenn er neben vielen Freundlichkeiten nicht auch kritische Worte für den von ihm Gepriesenen gefunden hätte. Und diese Worte haben eine Vorgeschichte.

Kermani hatte 2014 im Bundestag eine Rede zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes gehalten. Zwar habe Kermani da „dem Grundgesetz eine wunderschöne Liebeserklärung gemacht“, sagt auch Schäuble. Tatsächlich hatte der Sohn iranischer Einwanderer den „bemerkenswert schönen Text“ des Grundgesetzes gepriesen. Aber mit Blick auf das 1993 eingeschränkte Asylrecht fügte er verbittert hinzu: „Ein wundervoll bündiger Satz — „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ — geriet 1993 zu einer monströsen Verordnung aus 275 Wörtern, die wüst aufeinandergestapelt und fest ineinander verschachtelt wurden, nur um eines zu verbergen: dass Deutschland das Asyl als Grundrecht praktisch abgeschafft hat.“

Schäuble sieht das anders, spricht vom Spannungsfeld zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, in dem sich die Politiker (auch er war damals in Verantwortung) befanden. Der Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ habe eine institutionalisierte Einladung zum Missbrauch bedeutet. Die Verantwortungsethik habe von der Politik ein Handeln verlangt. Der Asyl-Artikel des Grundgesetzes sei zwar „furchtbar kompliziert geworden, aber er ist damit globalisierungstauglich“.

Aber der Politiker wird gleich wieder versöhnlich: Dass Kermani ihn, Schäuble, trotz dieses Dissenses als Laudator ausdrücklich gewünscht habe, zeige, „dass sein Wille zum offenen Diskurs unerschütterlich ist“. Und Schäuble erinnert an die Reportagen Kermanis auf dem Flüchtlingstreck der Balkanroute: „Wir können durch seine Texte die Welt aus der Sicht der anderen sehen, aus der Sicht der Menschen, die zu uns kommen.“

Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte die Verleihung des seit Zeiten von Johannes Rau alljährlich vergebenen höchsten nordrhein-westfälischen Preises dieses Mal von Düsseldorf nach Köln verlegt. In den Wohnort des in Siegen geborenen Navid Kermani. Auch Laschet würdigt den Preisträger in höchsten Tönen. Bücher, auch die von Navid Kermani, könnten dem Denken neue Richtung geben, könnten sogar die Welt verändern. Laschet nennt Kermani einen „Intellektuellen mit Alltagsrelevanz“, der Brücken baue zwischen unterschiedlichen Religionen und Kulturen.

Die 600 geladenen Gäste im ehrwürdigen Kölner Gürzenich bekommen einen Eindruck von der Wortgewalt des Schriftstellers. Zunächst, als die Schauspielerin Eva Mattes Passagen aus seinen Büchern vorliest. Und schließlich, als Kermani selbst ans Mikro tritt. In seiner Dankesrede an seinem 50. Geburtstag wolle er sich „die Freiheit nehmen, allgemein zu werden“, sagt er. Und darüber sprechen, was wichtig ist im Leben. Auch das Nichtzustandekommen einer Regierung sei nicht so schrecklich wichtig, sei es doch keine Frage von Krieg und Frieden und des nackten Überlebens wie in anderen Ländern der Welt.

In Ländern, wo die Menschen schon zufrieden wären, dass der Staat einen, wenn er ihn schon nicht schütze, so doch wenigstens in Ruhe lasse. Kermani malt sich aus, wie Politiker nach gescheiterten Sondierungsgesprächen in der Limousine nach Hause fahren. Und dort das wirklich Wichtige vorfinden: die friedlich schlafende Tochter, den schwelenden Ehestreit, die Nachricht über den Zustand des sterbenden Vaters — eben all das, was viel wichtiger für den Einzelnen sei. Die große Literatur handle seit jeher von nichts anderem: von Geburt und Tod, Liebe, Verrat oder Schmerz. Und führe vor, wie nebensächlich all das andere sei.

Kermani berichtet von seinen Reisen in Kriegsgebiete, bei denen er neben Soldaten im Schützengraben lag. Wo nicht viel passiere, wenn nicht gerade eine Schlacht tobt. Da habe man Zeit, die Soldaten langweilten sich. Man unterhalte sich über das Wetter oder die gekaufte Fußball WM in Katar. Auch da frage er diese Soldaten, was ihnen wichtig sei. Das gleiche wie hier: Gesundheit, Familie, Arbeit.

Doch natürlich ist er auch politisch, dieser Navid Kermani. Wenn er von den Gegnern des Brexit spricht, die den Wert Europas erst erkannten, als es zu spät war. Und von dem Unmut in verarmten Regionen der USA, der erst ernst genommen worden sei, nachdem Trump gewählt worden war. „Als die Welt sich um das Klima zu sorgen begann, waren die Klimaschutzziele bereits unrealistisch geworden“, sagt Kermani. Der Krieg vor Europas Haustür, in Syrien und im Irak, sei jahrelang ignoriert worden, bis die Bomben auch in Berlin und Brüssel explodierten und die Flüchtlinge auch nach Deutschland kamen. Was Europa angehe, sei es allerhöchste Zeit, die nationalen Egoismen zu überwinden. Da sei es dann schon ein Desaster, dass Deutschland aufgrund einer fehlenden Regierung sprachlos ist.