Poetische Traumreise, wenig Ballett Passend zur Weihnachtszeit: Tschaikowskis „Nussknacker“ im Düsseldorfer Opernhaus
DÜSSELDORF · Schneeflocken und Mäuse tanzen, Blumen blühen, Lichtermännchen ziehen ihre Bahnen in dunkler Nacht. Doch „Der Nussknacker“ knackt die goldene Nuss. Und wird dadurch zum Menschen, der sich frei bewegen, tanzen und Clara lieben kann.
Am Ende sitzt der Nussknacker tatsächlich mit Claras Familie an einem Tisch und feiert Weihnachten. So zumindest deutet Demis Volpi eines der populärsten und ohrwurmträchtigsten Ballette von Tschaikowski.
Dem Chefchoreographen des Balletts am Rhein geht es weniger um magisch schwebende Welten, sondern um Menschwerdung einer Nüsse knackenden Maschine, die von Claras Onkel Drosselmeier als Weihnachtsgeschenk offeriert wird.
Heiligabend im großbürgerlichen Haus Stahlbaum. Anspielungen an die Krupp-Villa Hügel sind unübersehbar. Ähnlich machte es auch Ben van Cauwenbergh 2015 in seiner „Nussknacker“-Fassung im Essener Aalto-Theater. Die Verwandlungsgeschichte spielt auch in Düsseldorf zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Warum nicht?
Die Premiere in Düsseldorfs Opernhaus wurde nahezu stürmisch gefeiert. Zwar entfachen Volpi und die Kompanie nur selten grandiose Ballett-Artistik – wie zuvor elf Jahre lang unter Volpis Vorgänger Martin Schläpfer. Doch die fantasiereichen Bilder, die mit augenzwinkerndem Humor erzählte Geschichte und ein üppig sprießendes Kostümfest begeistern. So ausgelassen war das Publikum hier zuletzt vor anderthalb Jahren. Es war fast wie eine Befreiung von Corona: Das erste Mal war das Haus wieder (nahezu) voll besetzt.
Wenn sich Volpi an diesem Abend auch weniger als spannender, innovativer Choreograph denn als sensibler Theatermacher ausweist, so ist sein „Nussknacker“ für Familien in der Weihnachtszeit zu empfehlen. Clara, ihr Bruder und andere Kinder lenken sich mit Ballspielen und Seilhüpfen von ihrer Nervosität vor der Bescherung ab. Sie tummeln sich vor einer großen Milchglas-Türe. Dahinter schmücken Vater und Mutter den Baum und arrangieren die Geschenke. Der Clou ist der Nussknacker, der sich in der Weihnachtsnacht beginnt zu bewegen. Zunächst wie eine Marionette, die wie ein Roboter den Arm ausstreckt, um Clara zu fangen, zu heben und zu tragen. Allmählich entwickelt sich eine Beziehung zwischen den beiden, was Claras Fantasie beflügelt. Und so durchlaufen sie Traum-Stationen – durch tanzende Schneeflocken, emporragende Blumen, farbige Blüten, die sich aneinander schmiegen und Tannen, die den Schnee von ihren Ästen schütteln.
Die Divertissements im zweiten Akt (im Original sind es Nationaltänze mit virtuosen Sprung-Kombinationen und Pirouetten) wurden kreiert von Tänzern des Ensembles und des Tanzhauses NRW. Sie setzen nicht auf jugendlich freche Bewegungen, sondern auf harmlose, manchmal verträumte Bilder mit Lichterketten, Mäusen, wiegenden Torten etc.
Poetische, manchmal auch heitere Bilder lassen Volpi und Ausstatterin Katharina Schlipf in Claras Traumreise entstehen. Von den üblichen Tanz-Highlights bleibt nur der finale Pas-de-deux übrig – von Clara und Nussknacker, der sich zu einem Mann, aber nicht zu einem Traumprinzen entwickelt. Sie umarmen sich, finden in einfachen Schritt-Kombinationen, Pantomime und herkömmlichem Ausdruckstanz zueinander. Ansteckender Märchen-Zauber mit spektakulären Hebefiguren sind dem Tänzer-Paar Emilia Peredo-Aguirre und Orazio Di Bella nicht vergönnt. Schade, denn beide verfügen über fließende, klassische Linie, Allüre, Sprungkraft und Spitzentechnik.
Volpi inszeniert lieber zahlreiche Stand- und Sitzbilder – selbst dann, wenn Tschaikowskis Musik viel Bewegung ermöglichen würde. Zumal die Dirigentin Marie Jacquot den Düsseldorfer Symphonikern feingeschliffene Harmonien, brillante Farben und intensive Gefühlswallungen zu entlocken versteht. Fazit: Volpi bietet bei diesem in der Weihnachtszeit beliebten Handlungsballett artige, kindgerechte Handlung, teilweise amüsante Bilder, aber wenig Ballett.
Bis 20. Nov. in Düsseldorf,
ab 17. Dez. in Duisburg.
Tel.: 0211/9825211.
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