Jubel für Dürrenmatt-Klassiker „Besuch der alten Dame“ in Düsseldorf Fabelhafte Rache-Göttin
DÜSSELDORF · Ein Leben in Liebe und Anstand – oder Gier nach Geld, Geld, Geld? Für die Güllener ist das nur kurze Zeit eine Frage, als die Milliardärin Claire Zachanassian nach 35 Jahren zurückkommt und den Menschen in ihrer Heimat Reichtum verspricht.
Jedem. In einer Stadt, die sie durch Aufkaufen zuvor wirtschaftlich ruiniert hatte und wo kaum noch ein Zug hält. Claires Großzügigkeit hat nur einen Haken: Die Güllener müssen vorher Alfred Ill töten – den Mann, der sie als Mädchen geschwängert hat, in einer Vaterschaftsklage mit Freunden einen Meineid schwor und sie als Hure hat stehen lassen. Mörderische Rache, die sie sich eine Milliarde kosten lässt. Sie ist sich sicher: Jeder, selbst Ills Ehefrau, ist käuflich.
Der Klassiker von Friedrich Dürrenmatt aus den 1950er Jahren – von dem es legendäre Aufführungen und Verfilmungen gab – ruft auch heute noch starke Gefühle hervor. Zumindest beweisen das Regisseurin Laura Linnenbaum und eine Hand voll exzellenter Schauspieler in Düsseldorf. Mit einer Mischung aus Groteske und Tragikomödie und der fabelhaften Hauptdarstellerin Rosa Enskat: Wie eine antike Rache-Göttin in knallrotem langem Gewand schwebt sie in Güllen ein, gebärdet sich zunächst mit Zucken und Zittern wie eine Außerirdische und krempelt die Einwohner in kurzer Zeit um. Langandauernde stehende Ovationen auch für Enskat – am Ende der Premiere im voll besetzten Haus.
Nur wenige Buchstaben sind übrig geblieben in der Leuchtreklame auf dem heruntergekommenen Luxus-Vergnügungs-Palast in Güllen (Bühne: Daniel Roskamp). Wo einst das „Paradies“ versprochen wurde, stehen nur die Buchstaben P, ra und s. Mulmig wird’s schon wenige Minuten nachdem die superreiche Dame in roten High Heels ihre Bedingungen für die generöse Spende genannt hat. Denn sofort rieseln die ersten Goldblättchen vom Bühnenhimmel auf die Köpfe der Bewohner von Güllen. Vorboten des Reichtums.
Anfangs ist zwar die Empörung über Claires unsittliches Angebot groß: Bürgermeister (Rainer Philippi), Schulleiter (Raphael Gerhmann), Pfarrer (wunderbar scheinheilig: Thomas Wittmann) und Polizist (kantig klar: Elias Nagel) schätzen Alfred (Heiko Raulin), wollen ihn doch zum nächsten Bürgermeister machen. Und nun das. Auf keinen Fall. „Du bist sicher,“ versichern sie ihm. Tragen aber Minuten später schon rote Schuhe, später dann rote Hosen und Anzüge. Und goldene Ketten baumeln auf dem roten Hemd des Arztes (Sebastian Tessenow). Die meisten haben Schulden gemacht auf die in Aussicht stehenden Millionen, selbst Ills Frau, Mathilde (Cathleen Baumann), die schon ein schweres Auto bestellt hat. Und auf dem Reklame-Schild ergänzen eifrige Güllener den Schriftzug durch ein rotes „die“ (sterben).
Die handwerklich einwandfreie und psychologische Inszenierung zeichnet groteske Momente gern in grellen Farben. Und entlarvt, wie die Standfestigkeit der kleinbürgerlichen Gesellschaft in Güllen (der Name, kommt von Gülle und ist kein Zufall) immer stärker bröckelt, schließlich in Auflösung begriffen ist. Der Reiz des Geldes ist einfach stärker als jede Moral. Kein Entrinnen gibt’s bei Dürrenmatt vom Kapitalismus. So opfern Güllener dafür ihre eigenen Werte. Wie Zachanassian triumphierend ruft: „Konjunktur für eine Leiche!“ So resigniert Alfred, nach zunächst verbittertem Lebens-Kampf, und findet sich mit dem bevorstehenden Tod ab. Im Finale wird Güllen mit Gold zugeschüttet.
Während Claire sich genüsslich aalt – wie eine Raubkatze auf dem schwarzen Sarg, der schon mit rot-weißen Blumen-Kränzen dekoriert ist. Solche opernhaften Momente sind das Salz in der Suppe dieser soliden Aufführung. Claire ist sich so sicher, dass ihr Experiment gelingt. Und hat vorsorglich in ihrem Anwesen auf Capri bereits ein Mausoleum für den Sarg mit Alfred Ill bauen lassen. Dahin soll sein Leichnam dann überführt werden. Dann sei er ewig bei ihr – verspricht sie Alfred, wenn sie ein letztes Mal in seinen Armen liegt und liebevoll von der Vergangenheit und ihrer damaligen Liebe erzählt.
Weitere Aufführungen: 8., 21., 27. Okt., 3., 10., 14. Nov., 28. Dez.