Ausstellung Behutsamer Blick auf das Trauma des syrischen Bürgerkriegs
Düsseldorf · Eine Fotoausstellung in der Düsseldorfer Johanneskirche zeigt Kinderaufnahmen des Pulitzer-Preisträgers Daniel Etter.
Wenn der Fotograf und Pulitzer-Preisträger Daniel Etter mal wieder im Auftrag von „Spiegel“, „Stern“ oder der „New York Times“ in den Krisen- und Kriegsgebieten der Welt unterwegs ist, sucht er es tunlichst zu vermeiden, in seinen Aufnahmen leichtfertig „mit Kindern Emotionen zu wecken“. Aber in der Ausstellung „Die Stille nach der Katastrophe“, die seit Mittwochabend im Foyer der Düsseldorfer Johanneskirche zu sehen ist, stehen die Kinder und ihre Emotionen unweigerlich im Mittelpunkt: Die Fotos entstanden im Auftrag der SOS-Kinderdörfer in Kooperation mit Leica und sind den Kindern in Syrien gewidmet.
Eine Woche lang waren der gebürtige Solinger Etter und Louay Yassin, Pressesprecher der SOS-Kinderdörfer, im März 2017 in der Region um die syrische Hauptstadt Damaskus unterwegs. Die Ursprungsidee, die Kinder mithilfe eines mobilen Fotostudios in jeweils derselben Umgebung zu zeigen, scheiterte schon an der libanesisch-syrischen Grenze: Das Studio wurde konfisziert. Etter musste sich notgedrungen für einen anderen Rahmen entscheiden: Entstanden sind die Aufnahmen dann meist in ihren Zimmern, dort, wo die Kinder sich sicher und geborgen fühlen, oft auf den Betten.
„Meist funktionieren Bilder nur, wenn die Menschen einem vertrauen“, sagt Etter. Aber eine Woche, um Vertrauen aufzubauen zu traumatisierten Kindern, das ist wenig Zeit. Die eindrücklichen Aufnahmen, mitunter in der Anmutung von Gemälden, zeigen nicht nur die Spuren, die der infernalische Krieg in den Gesichtern der Kinder und Jugendlichen hinterlassen hat; sie erzählen auch vom Gelingen einer behutsamen fotografischen Annäherung.
Eine Rakete tötet
die ganze Familie
Wie viel Geduld war nötig, ehe Yasheem (13) den renommierten Fotografen so an sich heranließ? Sein älterer Bruder war schon Jahre zuvor zwischen die Fronten geraten und getötet worden. Dann kam dieser Tag mit dem Picknick der Familie im Grünen. Yasheem bekam Durst und lief zum Bach, um etwas zu trinken. In dem Moment schlug eine Rakete ein und tötete seine ganze Familie. Wer diese Geschichte liest und dann auf das leicht seitlich aufgenommene Gesicht blickt, mag darin sowohl eine erschütternde Verlorenheit als auch einen schmerzbetäubten Willen zum Weiterleben entdecken.
Oder der vierjährige Melih und seiner zwei Jahre ältere Schwester Rana. Die Mutter hatte die Geschwister vor der Arbeit gerade beim Babysitter abgeliefert. Dann war eine Explosion zu hören – und die beiden sahen ihre Mutter nie wieder. Jetzt steht die kaum größere Schwester hinter ihrem Bruder, hält ihn an den Händen und legt ihren Kopf auf seine Schulter: ein Mädchen zwischen der nicht zu bewältigenden Mutterrolle und der nicht stillbaren Hoffnung, die eigene Mutter möge doch noch zur Tür hereinkommen.
Bei Hamit ist Etter auf Distanz geblieben. Der Fünfjährige lag zwei Tage unter den Trümmern seines Elternhauses. Seine restliche Familie hat den Bombentreffer nicht überlebt. Hamit sprach anfangs nicht ein Wort. Die Aufnahme zeigt ihn, wie er beim Spielen plötzlich Karten in die Luft wirft, hinten im Zimmer, einen unsichtbaren Schutzraum um sich, den man besser nicht betritt.
Man habe vom Krieg und seinen Folgen erzählen wollen, ohne die sattsam bekannten Bilder der Zerstörung und der blutenden Wunden zu zeigen, sagt Sprecher Yassin. Der Kontakt zu dem inzwischen bei Barcelona lebenden Etter entstand über einen Mitarbeiter in der Pressestelle, der mit ihm an der Deutschen Journalistenschule in München ausgebildet worden war. Vor einem Jahr war die Ausstellung schon einmal in Hamburg zu sehen, jetzt wird sie erstmals in NRW gezeigt – und trägt gerade in ihrer Behutsamkeit auf irritierende Weise die Monstrosität des syrischen Bürgerkriegs mitten in das spätsommerliche Treiben der Landeshauptstadt.