„Tanzplattform Deutschland“: 13 Produktionen, die unsere Zeit spiegeln
Die „Tanzplattform Deutschland“ versteht sich als biennales Schaufenster der zeitgenössischen Tanzszene. Ausrichter ist 2018 Essen.
Essen. Ein bisschen Aufregung liegt schon in der Luft, wenn die Teilnehmer der „Tanzplattform Deutschland“ bekannt gegeben werden. Immerhin präsentiert die Biennale für zeitgenössischen Tanz die besten Produktionen der vergangenen zwei Jahre. Damit ist sie das wichtigste, international ausstrahlende Schaufenster für Tanz made in Germany — und für junge Künstler ein erstklassiges Empfehlungsschreiben: Hier flanieren die Tanzfans, trifft sich die Szene, kaufen die Veranstalter für ihre Festivals ein. Das Programm der 14. Ausgabe des Events, das diesmal Pact Zollverein vom 14. bis zum 18. März in Essen ausrichtet, präsentierte am Freitag sein Künstlerischer Leiter Stefan Hilterhaus.
Aus rund 400 Bewerbern hat die Jury 13 Performances ausgewählt. „Sie waren für uns impulsgebend, weil sie die wichtigen ästhetischen, politischen oder gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit reflektieren“, sagt Hilterhaus. Das Programm sei vielfältig, mit kleinen und großen, feinen und mutigen Produktionen, mit bekannten, aber auch unerwarteten Namen.
„Glück auf!“, wünscht er ganz in Ruhrpott-Manier dem Festival. Und leitet vom Grußwort der Bergleute, die Ende 2018 zum letzten Mal in einen Schacht im Ruhrgebiet einfahren werden, zum Selbstverständnis der Tanzplattform über: auf existenzielle Anliegen aufmerksam zu machen. Das sich wandelnde Zechengelände Zollverein und die vielen sozialen, urbanen, wirtschaftlichen und kulturellen Initiativen im Ruhrgebiet seien wirkungsstarke Versuche, dem Erbe des industriellen Zeitalters mit Zukunftsentwürfen zu begegnen. Das Salzlager der Kokerei sei beispielsweise der perfekte Ort für die Produktion „The last ideal paradise“ von Claudia Bosse mit ihrer Verbindung von Geschichte und politischer Gegenwart. „Die Tanzplattform ist nicht nur ein Festival, sie versteht sich auch als Resonanzraum für Glücksvermögen und Widersprüche“, sagt Hilterhaus.
Was der Pakt-Chef konkret meint, erschließt sich durch einen Blick auf die Liste der Auserwählten und ihren Arbeiten — darunter Tanz-Prominenz wie Hoffnungsträger. Geladen ist Sasha Waltz, designierte Co-Direktorin des Berliner Staatsballetts, mit ihrem neuesten Stück „Kreatur“. Darin fasst sie die heutige, zerrissene Gesellschaft in Tableaus, die ineinander übergleiten. Die Tänzer erscheinen wie animalische, technoide Wesen in ihren skulpturalen Kostümen, die ihnen mal Hindernis, mal Partner sind.
Oder Boris Charmatz und sein „Musée de la danse“ mit „10 000 Gesten“. Es basiert auf der Idee, keine Bewegung zu wiederholen in einem Tanz-Dialog zwischen Gruppe und Solisten. Die Arbeit wirkt wie ein Strom digitaler Daten und Parameter, ist aber rein handwerklich-choreografisch durch die Körper generiert. Eszter Salamons „Monument 0.5: The Valeska Gert Monument“ thematisiert Leben und Werk der deutschen Avantgarde-Künstlerin der 1920er und ihren radikalen Aufführungen von Sujets wie Gender und nationaler Identität. Und bei dem Dance On Ensemble ist allein die Einladung zur Tanzplattform ein Statement: Die Company besteht nur aus reifen Künstlern und setzt jungen Körpern Ausstrahlung und Darstellungskraft entgegen. Gespielt wird William Forsythes „Catalogue“.
Freudentänze wird man in Düsseldorf machen. Denn gleich zwei der drei neuen Residenzkünstler am Tanzhaus, wo die Plattform übrigens im Jahr 2004 erstmals in Nordrhein-Westfalen stattfand, sind geladen: Ligia Lewis mit „minor matter“ über die gesellschaftlichen Spuren und Narben im Körper sowie Claire Cunningham (und Jess Curtis) mit „The Way You Look (at me) Tonight“, ein Duett über die Wahrnehmung zweier Menschen voneinander. Auch aus NRW dabei: cocoondance mit „Momentum“, eine gemeinsame Raum- und Bewegungserfahrung von Tänzern und Publikum.
Gastlichkeit steht im Vordergrund des Festivals. Deshalb gibt es diverse Austauschangebote, um Künstler und Publikum in einen Dialog zu bringen. Stefan Hilterhaus: „Neben klassischen Gesprächen gibt es mit einem Late Night Studio Talk, der jeden Abend nach den Vorstellungen stattfindet, auch experimentellere Formate: Die Künstler sind eingeladen, es wird gesprochen, Musik gespielt, vielleicht sogar gekocht, alles vor laufender Kamera.“