TV-Kritik Warum dieser Murot-Tatort so furios ist wie nie
Düsseldorf · In „Murot und das Murmeltier“ vom Hessischen Rundfunk hängt der Kommissar in der Zeitschleife fest. Eine Achterbahnfahrt, die eine tolle Vorlage Ulrich Tukurs Spielfreude ist. Achtung, Spoilergefahr.
Am siebten Tag möchte Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) endlich mal frei haben. Er hat die Zeitschleife satt, schießt am Morgen auf sein Telefon, sobald es läutet, ignoriert den Banküberfall, zu dem er wieder und wieder gerufen wird, fährt gut gelaunt in Freizeitkleidung aufs Land, besucht ein Ausflugslokal und wirft der armen Kellnerin eine Torte ins Gesicht, denn: „Ich kann machen, was ich will.“ Da ist was dran, denn was soll Murot schon fürchten? Wenn man weiß, dass der Tag immer mit dem eigenen Tod endet, aber die prompte Wiedergeburt inklusive ist, bedeutet das nicht: grenzenlose Freiheit? Ewiges Leben? „Murot und das Murmeltier“, der zweite „Tatort“ von Dietrich Brüggemann (Buch, Regie, Musik) nach „Stau“, ist ein wilder Ritt, komisch, grotesk, hintersinnig – und natürlich eine Parodie auf das Krimi-Fernsehen, das selbst eine Art Zeitschleife ist.
Dass Brüggemann („Kreuzweg“, „Heil“) mit seiner Idee beim HR gelandet ist, passt perfekt. Seit 2010 testen insbesondere die Murot-Filme die Grenzen der „Tatort“-Reihe aus. Sie gelten, je nach Sichtweise, als grandiose Höhepunkte oder ärgerliche Zumutungen, aber eins ist gewiss: Routine ist von Tukur alias Murot nicht zu erwarten. Auch im Film ist es mit der vermeintlichen Routine am ersten Tag bald vorbei. Nach einer knappen Viertelstunde geht der Banküberfall, den Murot („Kennste einen, kennste alle“) gelassen und flott über die Bühne bringen wollte, blutig zu Ende. Und dann? Schreckt Murot wieder in seinem Bett hoch, es ist 7.29 Uhr, das Telefon klingelt, Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) meldet einen Banküberfall...
Eine Zeitschleife wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“
So eine Zeitschleife erleben Film-Protagonisten nicht zum Spaß, auch wenn der Humor ein wichtiger Faktor ist. Am Ende muss es eine Art Katharsis geben, eine Läuterung des Helden. Wie beim von Bill Murray gespielten zynischen Wettermoderator Phil Connors im Klassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Im „Tatort“ trifft der von der täglichen Routine gelangweilte Murot auf einen Schicksalsgenossen, den blassen, rätselhaften Stefan Gieseking (Christian Ehrich) und dessen Freundin Nadja Eschenbach (Nadine Dubois). Auch Gieseking („Draußen ist jeder Tag derselbe, das mache ich nicht mehr mit“) ist in einer Zeitschleife gefangen, jedenfalls begrüßen sich Murot und der Geiselnehmer schon bald wie alte Bekannte. Ihre Läuterung besteht nun darin, die vielen Momente wieder wahrzunehmen, in denen sich jeder Allerweltstag eben doch unterscheidet. In Murots Worten: „Jeder Tag ist ein Geschenk.“ Um die Zeitschleife verlassen zu können, muss nicht nur er überleben, sondern auch alle anderen – was zuvor tagtäglich auf ganz verschiedene Arten missraten ist. Dazu muss Murot in mehreren Anläufen herausfinden, wer dieser Geiselnehmer eigentlich ist, was ihn und seine Freundin antreibt. Bei allen kuriosen und aberwitzigen Wendungen gibt es also auch eine klassische Ermittlung.
Dabei ist kein Tag wie jeder andere, das erzählt Brüggemann mit viel Sinn für Situationskomik. Auch die Joggerin (Katharina Schlothauer), der Murot im Flur begegnet, der Nachbar (Daniel Zillmann), der ihn mit lauter Musik nervt, die Mutter (Anna Brüggemann) und das Kind, das ihm vor der Haustür vor die Füße läuft, sowie die Punkerin (Desiree Klaeukens), die an der Ampel die Scheiben seines Autos putzen will, erleben jeden Tag unterschiedlich – und überleben auch nicht in jedem Fall. Die Komik, die dadurch entsteht, dass alle anderen Figuren außer Murot und der Geiselnehmer von einer Zeitschleife nichts wissen, kostet Brüggemann vor allem am Einsatzort vor der Bank aus. Diese Szenen sind wunderbare Miniaturen, Parodien auf die immer gleichen Inszenierungen im Fernsehkrimi sowie die üblichen Dialoge zwischen Kaffee trinkenden Polizisten und schwer bewaffneten SEK-Beamten. Nebenbei: Empört die Leichen zu zählen, macht natürlich keinen Sinn. Die Variation der möglichen Todesarten gehört hier wie in jeder schwarzen Komödie zum Vergnügen.
„Murot und das Murmeltier“ sei der anstrengendste „Tatort“ gewesen, den er je gedreht habe, sagte Hauptdarsteller Ulrich Tukur in einem Interview. Kein Wunder, jeden Tag durchlebt Murot in einem anderen Zustand, diese Achterbahnfahrt ist eine tolle Vorlage für Tukurs Spielfreude. Murot ist irritiert, total durcheinander, zwischendurch entschlossen und aufgeräumt, dann wieder voll rasender Wut und betrunken. An einem Tag erschießt er sich, kaum aufgewacht, gleich wieder selbst. Er ermittelt im Bademantel, geht dem lauten Nachbarn an die Gurgel, springt aus dem Fenster oder wird selbst zum Geiselnehmer.
Das eigentliche Ziel des wilden Ritts ist aber weniger, ein Verbrechen aufzuklären, sondern es überhaupt zu verhindern. Das ist doch mal eine Sinn stiftende, befriedigende TV-Polizei-Arbeit.