Kultur-Kritik Hamlet als furioser Musikabend im Düsseldorfer Schauspielhaus

Im Düsseldorfer Schauspielhaus begeistert Hauptdarsteller Christian Friedel das Publikum. Ohrenstöpsel sind erlaubt.

„Hamlet“ als Rock-Tragödie: Christian Friedel spielt und singt Shakespeares Dänenprinzen.

Foto: Sandra Then

Ohrstöpsel einstecken. Den Rat hatten einige reifere Besucher(innen) der „Hamlet“-Premiere im Düsseldorfer Schauspielhaus befolgt. Und spielten mit den gelben Stöpseln, noch bevor sich das röhrende und schwitzende Rock-Theater in Gang setzte. Im Fokus: Christian Friedel, einer der ungewöhnlichsten Doppelbegabungen der deutschsprachigen Theaterszene. Er und seine Band „Woods of Birnam“ rocken auf vollem Sound Shakespeares Hamlet, der sich vor Selbstzweifel martert, in Wahnsinns-Ausbrüchen steigert und sein Ziel nie aus dem Auge verliert: den Mord seines Vaters zu rächen. Sie verwandeln, zumindest den ersten Teil, in rockiges, exzentrisches Musiktheater mit Echo-Effekten, Fantasy-Spuk und Gothic-Nebel inklusive. Und könnten mit ihrer Hamlet-Show Opernhäusern Konkurrenz machen.

Denn die Jugend, um die heute alle Musentempel buhlen, war bei dieser Theater-Premiere fast in der Überzahl. Ohne Ohrstöpsel, versteht sich. Deutlich zu hören am ausgelassenen Johlen nach den gespenstischen Abrechnungs-Monologen des Prinzen von Dänemark, der wie ein Schuljunge, dann wie eine Wildkatze vom Keyboard zu seiner Mutter in der Königs-Loge tigert – zur Königin Gertrud. Sie heiratete Claudius, nachdem dieser seinen Bruder Hamlet den Älteren ermordet und sich selbst die Krone aufgesetzt hatte.

Diese Königs-Loge mit zwei Nachbar-Logen dominiert zunächst die Bühne (Dekor: Claudia Rohner) der elektrisierenden, manchmal überspitzt komischen Inszenierung von Roger Vontobel: Sie kam 2012 in Dresden heraus, mauserte sich in 109 ausverkauften Vorstellungen zum Kult und ist nun in Düsseldorf angekommen.

In dieser Loge thronen die Majestäten Claudius (Christian Erdmann) und Gertrud (Claudia Hübbecker), im Balkon daneben der Kämmerer Polonius samt Kindern Laertes und Ophelia. Und werden von Zuschauern, Hamlet, seinem Freund Horatio (flink und wendig: Kilian Land) und seiner Band begrüßt. Unterwürfig, fast wie bei Hofe. Das Königspaar macht gute Miene zur Provokation, denn der Prinz gibt in Anwesenheit des Vater-Mörders ein Konzert „Tribute to my Father Hamlet“. So steht’s auf überlebensgroßen Plakaten, die im Zuschauerraum hängen. Dieses Gedenk-Konzert eröffnet Friedel mit dem Song „I call thee Hamlet“ (Ich nenn Dich Hamlet), in dem sich sein heller Rock-Tenor schwerelos in lyrische Höhen schwingt und seinem Vater ein musikalisches Denkmal setzt. Eine Pop-Rock-Ballade, die an Gemüt geht und alles für einen Ohrwurm hat.

Erstaunlich wie sich Friedel als Hamlet von einem Song zum nächsten von Zorn in Raserei steigert. Neben Hamlet-Texten vertonte Friedel zwei Shakespeare-Sonette („Tageslicht“ und „Andenken“). Extrem verausgabt sich der Star dieser Inszenierung bei „Something is rotten in the State of Denmark“, röhrt, schreit, wimmert und hämmert diese alte Schul-Weisheit sich und anderen in den Kopf, dass im Staate Dänemark (des Königsmörders) alles faul ist. Einen distanzierenden Effekt hat dabei die romantisierende Schlegel-Übersetzung, in der die Figuren sprechen.

Der zweite Teil allerdings kippt. Stürzt aus der Höhe einer genialen Grundidee (Hamlet als rebellischen Rocksänger darzustellen) in solides Kunsthandwerk. Hier, in dem finalen Königsdrama voller Blut und Messerstiche à la „Psycho“, gibt’s keinen luftschaukelnden Popsänger Hamlet mehr, genauso wenig wie zartbittere Melodien. Plötzlich ist er nur noch ein Psycho-Prinz, der blindwütig auf einen Mann hinter dem Vorhang einsticht. Und dabei den falschen mordet, nämlich Polonius.

Das Ende, in dem die komplette Königsfamilie gnadenlos ausgelöscht wird, verwandelt Friedel in einen grotesken Comedy-Slapstick – eine absurde One-Man-Pantomime, in der er in die Rollen von Hamlet, König, Königin und Laertes schlüpft. Perfekt, beinah wie im Zirkus. War alles nur ein Spiel? Könnte sein. Zumindest für Christian Friedel mit Babyface und dunklem Lockenkopf, der voller Spielfreude, luftigem Pop und kreischendem Rock-Gesang und ansteckender Energie den Shakespeares „Hamlet“ mutieren lässt – zu einem Terroristen auf dem Egotrip und zu einer Christian-Friedel-Show. Für Zwischentöne und philosophisch Hintergründiges ist da wenig Platz. Dennoch: stehende Ovationen.