„Tod eines Handlungsreisenden“ im Schauspielhaus Düsseldorf ist ein zeitloses, packendes Theatererlebnis
DÜSSELDORF · Ein Riesen-Sofa füllt die kleine Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus. Kein erlesenes Designer-Stück, sondern eher eine Art gestreiftes XXL-Ikea-Modell, das in die Jahre gekommen ist. In Robert Gerloffs Neuinszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ liegen und kriechen, stampfen und krabbeln Willy Loman, seine Frau Linda und ihre Söhne Biff und Happy auf diesem Sitz-Monstrum munter, später deprimiert ihrem Untergang entgegen.
Manchmal schlüpfen sie kopfüber in die Ritzen zwischen den Polstern oder klettern nach oben. Und ruhen sich auf der haushohen Rückenlehne aus. Von Anfang an lassen Regisseur Gerloff, Ausstatter Maximilian Lindner und die leise im Hintergrund schwelende Musik (Cornelius Borgolte) keinen Zweifel: Diese amerikanische Mittelklassen-Familie Loman (abgeleitet von ‚low man‘, zu Deutsch: niedriger, unterschichtiger Mann) und ihr Ernährer, der Handlungsreisende Willy, haben die besten Zeiten hinter sich. Und kämpfen um ihr Dasein, um fällige Zinsen für ihr Eigenheim, kurz: ums Überleben. Mit einer beinah märchenhaften Realitäts-Überhöhung knüpft Regisseur Gerloff an seine Erfolgs-Serie in Düsseldorf an, die hier 2017 begann.
Willy, früher mal Star-Verkäufer seiner Firma, bekommt mit Anfang 60 keine Kunden-Aufträge mehr. Ihm droht die Kündigung. Dennoch hämmert er – nach außen – weiterhin sich und seinen Söhnen den Erfolgszwang des „American Dream“ ein. Innerlich indes ist er gepeinigt von lähmender „German Angst“, taucht häufiger ab zwischen den Sofa-Ritzen und versteckt sich und seine Seelenqual, die ihm am Ende keine andere Wahl als Suizid lässt. Aus einer Versicherungssumme heraus könne Linda nach seinem Ableben die letzte Kreditrate des Hauses abzahlen, hofft er.
Arthur Millers Mischung aus heute noch anrührender Familientragödie und tiefgehender Gesellschaftskritik ist seit der Uraufführung 1949 am New Yorker Broadway international ein Renner. Sie erlebte ein Jahr danach die Deutsche Erstaufführung an Düsseldorfs Kammerspielen und wurde einige Male mit Starbesetzung verfilmt (Dustin Hoffmann, Heinz Rühmann etc.). Und bereits in den 1970ern gehörte „Death of a salesman“ zum Pflicht-Programm an bundesdeutschen Gymnasien.
In der Merkel-Zeit („Deutschland geht’s gut“) kam Millers Lehrstück höchstens noch historische Bedeutung zu. Durch das drastisch geänderte Konsumverhalten nach Corona-Lockdowns, durch Ukraine-Krieg und Energiekrise kennen aber viele Handelsvertreter das Schicksal Willy Lomans. Das Thema wird plötzlich – auch durchs Bestellen per Mausklick – wieder aktuell. Die soziale Abfederung in Deutschland drängt zwar gottlob hierzulande niemanden in den Selbstmord, aber zumindest sehen sich zahlreiche sogenannte „Vertreter“ als Opfer eines unaufhaltsamen sozialen Abstiegs. Diese Erkenntnisse schweben über Gerloffs feinnerviger Psychologie, über typengerecht besetzte Figuren und über der allgegenwärtigen Sofa-Metapher.
Die vier Lomans leiden an galoppierendem Größenwahn, geringer Wahrnehmung der wirtschaftlichen Realität (nur die Mutter bewahrt klaren Blick) und an schleichender Selbst-Entfremdung. Im Vater-Sohn-Konflikt schlagen Thomas Wittmann (Willy Loman) und Sebastian Tessenow als zorniger, junger Biff einen leidenschaftlichen Ton an. Biff fühlt sich von seinem Vater ungerecht behandelt. Mit Mitte 30 ist er emotional zerrissen, als Versager und Dieb. Schwächen, die er in Rede-Duellen lautstark kundtut.
Tessenow haut auf den Putz: Sein körperbetontes Spiel und seine Ausbrüche überzeugen auch im Kampf mit dem jüngeren Bruder Happy, einem oberflächlichen, fleischigen Frauenhelden (überzeugend: Jonas F. Leonhardi). Wittmann schlägt leise, versunkene Töne an, sobald Willy im Traum mit seinem erfolgreichen Bruder spricht. Aufgekratzt und extrovertiert indes, wenn er seiner Familie ständig versichert und sich einredet: „Alles wird gut. Morgen mache ich wieder den großen Deal.“ Unspektakulär das Ende: Linda (Friederike Wagner) steht allein im Trauermantel auf der Sofalehne und hat gerade die letzte Rate bezahlt.
Fazit: Eine packende, wieder aktuelle und mit starken Schauspielerinnen und Schauspielern besetzte Familientragödie über die Folgen sozialen Abstiegs.