Kultur Weihnachtsgeschichte am seidenen Faden
Die Augsburger Puppenkiste hat die biblische Erzählung ins Kino gebracht. Am 4. Advent ist die warmherzige Produktion noch einmal zu sehen.
Düsseldorf. „Mutter, bist du da?“ Maria ist auf der Suche, draußen am Baum mit den Granatäpfeln. Da fällt plötzlich ein Engel vom Himmel. Es rumst, es staubt — und dann verzaubert die sonor-warme Stimme von Karsten Troyke die Szene. Er spricht den Gabriel und der verkündet: „Dies ist eine Zeit des Jubels und der Wunder, meine Liebe.“
Ein Wunder ist auch die Weihnachtsgeschichte in der Inszenierung der Augsburger Puppenkiste. Weil man als erwachsener Betrachter mühelos anknüpfen kann an glückselige Kindheitsmomente vor dem Fernseher mit „Jim Knopf“ („Eine Insel mit zwei Bergen . . .“), „Urmel aus dem Eis“ oder „Der Löwe ist los“. Weil dem Ganzen aber trotzdem nichts Verstaubtes anhaftet, sondern etwas selbstbewusst Zeitloses: Der wippend-originelle Gang der Marionetten ist geblieben, die liebevolle Kulissenarbeit, die feinfühlige Synchronisation. Ein Wunder schließlich auch, weil im Gegenzug alles fehlt, was angeblich heute unverzichtbar sein soll, um die Aufmerksamkeit von Kindern noch zu binden: das Hektische, der schnelle Schnitt, die grell-bunte Computeranimation.
Zwei Jahre hat die 1948 eröffnete Augsburger Puppenkiste die Weihnachtsgeschichte nach Motiven des Lukas- und des Matthäusevangeliums schon im Repertoire. Jetzt ist — unterstützt mit Finanzmitteln der Bistümer Köln, Augsburg, Würzburg, Regensburg und Osnabrück — ein Kinofilm daraus entstanden. Bundesweit rund 300 Kinos zeigen ihn seit dem Beginn der Adventszeit an jedem Adventssonntag, davon zehn auch aus dem Verbreitungsgebiet unserer Zeitung (s. Kasten). Die letzte Gelegenheit besteht also am 4. Advent. In einzelnen Kinos sind auch noch Aufführungen an Weihnachten oder danach geplant.
In sechs Akten wird die Geschichte erzählt — mit Maria, Josef und ihrem frechen Esel Noel im Mittelpunkt. Warmherzig genug, um zu berühren, aber auch humorvoll genug, um nicht in rührseligen Weihnachtskitsch abzugleiten. „Fürchte dich nicht“, will Erzengel Gabriel die erstaunte Maria bei der ersten Begegnung beruhigen. Aber die entgegnet gelassen: „Ich fürchte mich ja gar nicht.“ Engel Gabriel springt immer mal wieder vom Hochdeutschen ins Jiddische, Melchior, einer der drei Weisen, hat einen österreichischen Akzent und Josef gleitet beim Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem Jesuskind ins Infantile ab: „Duziduziduzi.“
23 handgeschnitzte Puppen sind für die Weihnachtsgeschichte neu entstanden — und ein Soundtrack, der sich an der aus der jüdischen Volksmusiktradtion entstandenen Klezmer-Musik orientiert. Musik und Hörspiel gibt es jetzt schon zu kaufen; auf die DVD mit dem Film muss man noch bis zum Herbst 2017 warten.
Ein Grund mehr, den letzten Adventssonntag für einen Familienausflug ins Kino zu nutzen — als 60-minütige Einstimmung auf die bevorstehenden Festtage. „Es ging uns darum, die biblische Weihnachtsgeschichte wieder in den Mittelpunkt des Festes zu bringen. Ich denke, dass über die vielen Geschichten um Weihnachten die eigentliche biblische Geschichte ein bisschen in den Hintergrund gerückt ist“, sagt Klaus Marschall, aktueller Inhaber und Leiter der Augsburger Puppenkiste. Ihm sei auch wichtig gewesen, die Handlung wieder in ihrem Ursprungsland zu verorten: daher die jüdische Musik, daher kein Schnee in der Kulisse.
Marschall hat die Theaterleitung der Augsburger Puppenkiste 1992 in der dritten Generation der Familie Marschall-Oehmichen übernommen. Gründer Walter Oehmichen starb 1977. Ihm gelang es 1953 mit „Peter und der Wolf“ erstmals, seine Puppenkiste auch ins Fernsehen zu bringen. Danach folgten jährlich mehrere Fernsehproduktionen.
Das Credo hat sich in den inzwischen bald 70 Jahren nicht geändert. „Wir sind uns immer treu geblieben, das zahlt sich aus. Unterhaltung für Kinder funktioniert immer noch auf dieselbe Art wie früher“, sagt Marschall. Das passt zur Weihnachtsgeschichte: Die wird schon seit 2000 Jahren erzählt.