Meinung Die Grünen - Nicht die besseren Menschen

Gut drei Monate ist es her, dass die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann die Formel „Anstand statt Affekt“ prägte. Sie wollte den Anspruch als Marschroute für das Wahljahr verstanden wissen.

Foto: Sergej Lepke

Jetzt kann ihre Partei ihn im Umgang mit dem Absturz in der nordrhein-westfälischen Wählergunst erproben.

Dass ein alter Haudegen wie Jürgen Trittin gegen die NRW-Spitzenkandidatin gallig nachtritt, überrascht nicht. Aber in Düsseldorf üben sich die Grünen gerade am Verlieren mit Stil: Löhrmann und Johannes Remmel ziehen sich umgehend in die zweite Reihe zurück; im Gegenzug gibt es Respektbekundungen, die nicht vergiftet klingen.

Aber mehr auch nicht. Am Tag danach setzt eine Form der Selbstkritik ein, die deutlich macht, dass parteiintern offenbar schon länger mit der Außenwirkung der Grünen gehadert wird. „Unsere Politik und unsere Kommunikation haben die Menschen nicht ausreichend überzeugt“, schreiben die beiden Landesvorsitzenden.

Der eine von ihnen, Sven Lehmann, stellt auf Facebook auch die „Anmutung“ seiner Partei infrage: „Wirken die Grünen oberlehrerhaft und besserwisserisch?“ Ja, das tun sie immer wieder — mit Vorliebe dann, wenn sie im Weltverbesserungsmodus unterwegs sind und dabei den Blick für die Realitäten verlieren. Dann wird aus der Idee sozialer Gerechtigkeit schnell Selbstgerechtigkeit. Die Inklusion ist ein Beispiel dafür.

Die Grünen stehen daher jetzt vor zwei Herausforderungen: klarer für ihre Vorstellungen einer besseren Welt zu streiten, ohne sich dabei wie die besseren Menschen aufzuführen. Das Gefasel, die Grünen seien inhaltlich überholt, wird durch Wiederholung nicht richtiger. Aber die Annahme, diese Inhalte seien selbsterklärend und bei Verstand nicht in Zweifel zu ziehen, hat die Grünen schon oft dazu verleitet, Erklären mit Dozieren zu verwechseln. Davon müssen sie sich in der Opposition verabschieden — gerne mit Anstand statt Affekt.